„Menschliche Enttäuschungen erlebt“ - Silvio Heinevetter über MT Melsungen und das Leben in Kassel

Silvio Heinevetter steht noch einmal im Fokus. Der scheidende Torwart der MT Melsungen fand nach seiner Verabschiedung deutliche Worte. Am Sonntag gastiert er beim zukünftigen Klub Stuttgart. Wir haben uns mit ihm getroffen.
Kassel – So richtig passt der Ort nicht zum Anlass. Das Treffen mit Silvio Heinevetter dient eigentlich dazu, dass der scheidende Torwart noch einmal seine Zeit beim Handball-Bundesligisten MT Melsungen Revue passieren lässt. Doch der 37-Jährige empfängt die Journalisten an diesem Vormittag in Stoffhose, buntem Pulli und Mütze vor dem Neubau der Evangelischen Bank in Kassel – Ständeplatz 19.
Aus gutem Grund: Hinter einer Eingangstür im Erdgeschoss entsteht zurzeit das Yannis Deli – ein Café, das Heinevetter zusammen mit Yannick Klütsch Mitte Juni eröffnen wird. Kurz nachdem er zum letzten Mal das MT-Trikot getragen hat: Am Sonntag geht ausgerechnet mit der Partie ab 15.30 Uhr bei seinem künftigen Arbeitgeber TVB Stuttgart seine Zeit bei den Melsungern zu Ende.
Torwart beim MT Melsungen: Der Abschied von Silvio Heinevetter
Nach dem Holy Nosh Deli, dem Restaurant in der Friedrich-Ebert-Straße, ist es der zweite Betrieb, den Heinevetter mit Klütsch nun führen wird. „Wir wollen einen gastronomischen Fußabdruck hinterlassen“, sagt der Handball-Profi. Das klingt so gar nicht nach Abschied. So gern geht er auch nicht. „Ich habe mich zwei Jahre sauwohl gefühlt“, erklärt er im Gespräch. Die MT plant jedoch ohne ihn. Eine Entscheidung, die bei vielen Melsunger Fans nicht gut ankommt.
Als der Entschluss des Vereins im vergangenen Herbst öffentlich gemacht wurde, geriet Manager Axel Geerken arg in die Kritik. „In diesem Geschäft gibt es harte Entscheidungen, auch unpopuläre“, sagt Heinevetter, „ich finde aber, dass man mit offenen Karten spielen sollte.“ Es steht der Verdacht im Raum, dass die MT bereits den Polen Adam Morawski verpflichtet hatte, den deutschen Nationaltorwart aber im Glauben ließ, der Verein sei an einer weiteren Zusammenarbeit interessiert. „Seitdem ich hier bin, habe ich viele tolle Leute kennengelernt. Ich habe aber auch menschliche Enttäuschungen erlebt“, sagt Heinevetter.
MT Melsungen Torwart: Silvio Heinevetter über den Sport
Mit seinem Torwartkollegen Nebojsa Simic hat er nie Probleme gehabt: „Zwischen uns passt kein Blatt. Wir wollen beide immer spielen, immer gewinnen. Wir sind ein gutes Duo.“ Unter dem ehemaligen Melsunger Trainer Gudmundur Gudmundsson hatten die Torhüter einen schweren Stand. Das Abwehrsystem funktionierte nicht – und damit auch nicht das Zusammenspiel mit den Schlussleuten. Unter Roberto Garcia Parrondo stellt sich die Situation ganz anders dar. Hinter einer stabileren Deckung können sich Simic und Heinevetter oft auszeichnen. In den vergangenen Wochen hatte der Montenegriner mehr Einsatzzeiten. „Simo hat es seit der EM im Januar richtig gut gemacht“, sagt Heinevetter, als er an der Kaffeetasse nippt.
Ab Juli ist er in Stuttgart. „Ich gehe mit einem weinenden und einem lachenden Auge“, betont der exzentrische Schlussmann. „Ich habe mich hier wohlgefühlt, ich weiß aber auch, dass die Stuttgarter mich aus Überzeugung wollen und ich dem TVB einiges geben kann.“
Darauf kann man fast wetten. Allein im vergangenen Herbst hatte der 37-Jährige Top-Leistungen gezeigt und die Zuschauer fast regelmäßig von den Sitzen gerissen. Dass er immer noch topfit ist, hat er bei seinem Auftritt bei der Pro-Sieben-Show „Schlag den Star“ bewiesen, als er Tennisprofi Alexander Zverev keine Chance ließ. Noch mehr Sympathien brachte ihm aber seine moralische Unterstützung der MT-Talente ein. An einem freien Tag saß er in der Melsunger Stadtsporthalle und feuerte die Nachwuchsteams an. Er half mit, dass Eigengewächs Ole Pregler in seinem ersten Jahr bei den Profis Fuß fasste. „Ich habe in Berlin gelernt, wie wichtig die Jugend ist. Die Talente können der X-Faktor sein“, stellt Heinevetter fest.
MT Melsungen: Silvio Heinevetter über sein Leben in Kassel
Bevor er aus Berlin nach Kassel umzog, hatte er oft gehört, dass die Nordhessen „ein komisches Völkchen“ seien. Diese Erfahrung hat er nie gemacht, wie er im Gespräch betont. Im Gegenteil: „Ich hätte nie gedacht, dass mir Kassel so viel gibt.“ Mit seiner offenen und direkten Art knüpfte er viele Kontakte. Yannick Klütsch habe er „beim Weinchen“ kennengelernt. Was sie verbindet: die Freude an gutem Essen. Am besten soll es lecker und gesund sein. Direkt vom Erzeuger kommen. In Yannis Deli werden sie nun beispielsweise orientalische Spezialitäten wie Hummus anbieten. Fachleute sprechen von Levante-Küche – liegt im Trend. „Wir haben uns Gedanken gemacht, was Kassel noch interessanter machen würde“, erläutert Heinevetter.
Als er das sagt, klopft es an der Tür. Ein Lkw liefert die Möbel für die Außenbestuhlung. Probeweise nimmt Heinevetter auf einem der Stühle vor dem Eingang Platz. Nach Abschied sieht es eben nicht aus. (Björn Mahr)