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Beben im Osten, Beben in Berlin? So könnten die Wahlen die deutsche Politik verändern

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Von: Florian Naumann

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Kabinettssitzung
Angela Merkel und Olaf Scholz - hier bei einer Kabinettssitzung - müssen mit den Folgen der Landtagswahlen im Osten umgehen. © dpa / Kay Nietfeld

Die Landtagswahlen im Osten könnten einigen Staub aufwirbeln - möglich, dass ein Beben in Sachsen und Brandenburg auch Auswirkungen auf die Bundespolitik hat.

Dresden/Potsdam - Drei Landtagswahlen stehen im September und Oktober an. Und es scheint gut möglich, dass sie auch die Bundespolitik noch einmal gehörig durcheinanderwirbeln. Denn auch wenn die Stimmungslagen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen sich ein wenig voneinander unterscheiden - mehrere Tendenzen gibt es übereinstimmend in allen drei Ländern.

Etwa, dass die SPD schmerzhafte Einbußen erleiden dürfte: In Thüringen und Sachsen könnten die Sozialdemokraten unter zehn Prozent fallen, in Brandenburg das Ministerpräsidenten-Amt einbüßen. Auch der CDU drohen schmerzhafte Wahl-Ergebnisse. In Thüringen und Sachsen sind zweistellige Verluste in Aussicht, in Brandenburg immerhin solche im Bereich um sechs bis sieben Prozent. Und die AfD dürfte mit Ergebnissen jenseits der 20 Prozentpunkte die gesamte politische Landschaft noch einmal aufschrecken. 

Wie könnten die Folgen der Wahl aussehen? Klar ist: Einiges könnte in Bewegung geraten - solange die Parteien den Osten nicht als Sonderfall abhaken und nach kurzem Grummeln zum Tagesgeschäft übergehen. Ein Überblick:

Wahlen in Brandenburg und Sachsen: Wagt die SPD den „Neuanfang“?

Nicht zuletzt die SPD befindet sich gerade in einer heiklen Phase: Just am 1. September, Wahltag in Brandenburg und Thüringen, endet die Bewerbungsphase für die neue Partei-Doppelspitze - zugleich beginnt der parteiinterne Wahlkampf. Der könnte durchaus von den zu erwartenden Wahlklatschen im Osten beeinflusst werden. Vor allem, wenn Dietmar Woidke seinen Platz an der brandenburgischen Landesspitze räumen muss und die Unzufriedenen das Momentum nutzen.

Denn üblicherweise beginnt in der SPD in Momenten der Niederlage die Suche nach den Schuldigen. Nach dem Abgang von Andrea Nahles fehlt ein naheliegender Sündenbock an der Parteispitze. Greifbar bleiben zunächst: Die bekannten SPD-Gesichter in der Regierung. Das könnte etwa Olaf Scholz sein, der bereits nach Bekanntgabe seiner Kandidatur von mehreren Medien schnell als „der Falsche“ für einen Neustart ausgemacht wurde. Mit Klara Geywitz hat der Vizekanzler auch noch eine Duo-Partnerin just aus Brandenburg. Die zudem am Wahltag eine Pleite erlebte.

An Alternativen im Kandidatenfeld mangelt es nicht. Allerdings müssten sich die zahlreichen Bewerber aus dem linken Spektrum wohl zunächst einmal zusammenraufen und eventuell auch auf ein Bewerber-Duo einigen.

Auch die ganz konkreten Folgen der Wahlen in den Ost-Ländern könnten einen „Linksruck“ durchaus befeuern. In Thüringen und Brandenburg etwa schien kurz vor dem Urnengang eine rot-rot-grüne Mehrheit greifbar - allen Erfolgen der AfD zum Trotz. Das spricht prinzipiell eher für eine Polarisierung der Wähler denn für einen gesamtgesellschaftlichen Rechtsruck. Daraus und aus der relativen Stabilität von Rot-Rot-Grün in Thüringen könnte die Partei Schlüsse ziehen. Erste Hinweise für entsprechende Bestrebungen gibt es bereits, wie Merkur.de* schreibt.

Entladen könnte sich die Unzufriedenheit aber auch an der Beteiligung an der GroKo in Berlin. Dass die SPD umgehend aus der GroKo ausschert, scheint unwahrscheinlich, droht den Bundestagsabgeordneten doch bei einer schnellen Neuwahl der Verlust ihres Mandats. Was aber bei einer möglichen Parteitagsabstimmung über die Koalition später im Jahr passieren wird - dahingehend fällt eine Prognose schwerer. Herbe Wahlniederlagen im Osten wären Wasser auf die Mühlen der Kritiker.

Stimmen Sie ab: Sollen CDU und Linkspartei koalieren, damit die AfD nicht regiert?

Wahlen in Brandenburg und Sachsen: In der CDU könnte es rumoren

Die CDU droht nicht in gleichem Maße wie die SPD in der Wählergunst abzustürzen. Aber die Wahlen könnten auch die Christdemokraten unbefriedigt zurücklassen. Denkbar, dass am Ende außer heftigen Verlusten weiter nur ein Ministerpräsident in den drei Ländern bleibt - und der in einer denkbar unschönen Konstellation: Michael Kretschmer müsste womöglich eine Koalition der „Rest-Parteien“ gegen die AfD anführen. So ihn nicht sogar seine Partei stürzt, um mit der AfD zu koalieren - ein Experte schloss ein solches Szenario in einem Interview mit web.de nicht aus.

Möglich scheint ohnehin, dass die rechtsgerichteten Kräfte in der Partei von den Erfahrungen der Ost-Wahlen zumindest kurzfristig profitieren. Schon Annegret Kramp-Karrenbauers vorsichtiger Konfrontationskurs mit dem nur nach Eigeneinschätzung „eher linken“ Hans-Georg Maaßen sorgte zuletzt für lauten Widerstand. Als allgemeine Lesart in der CDU schien sich herauszukristallisieren, dass Distanz zu national gesinnten Geistern der Partei im Osten schade

Ohnehin könnte die Luft für Kramp-Karrenbauer noch dünner werden. Die Merkel-Nachfolgerin stand zuletzt immer wieder heftig in der Kritik. Dass die Partei einen Putsch wagt, scheint (noch) sehr unwahrscheinlich. Einfluss auf die K-Frage könnten die Entwicklungen im Osten aber haben.

Falls die Landtagswahlen im Osten für die CDU schlecht ausgehen, dürfte Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer noch stärker unter Druck geraten.
Falls die Landtagswahlen im Osten für die CDU schlecht ausgehen, dürfte Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer noch stärker unter Druck geraten. © dpa / Jörg Carstensen

Wahlen im Osten und die Folgen: Rutscht die AfD noch weiter nach rechts?

Schon seit Wochen warnen Politiker nicht nur der GroKo-Parteien vor einem weiteren Rechtsrutsch der AfD. Sicher aus Wahlkampf-Kalkül - aber auch sonst nicht ohne Grund. Schon in den vergangenen Monaten bekam die vergleichsweise gemäßigte Parteispitze um Sprecher Jörg Meuthen den wachsenden Einfluss des rechtsnationalen „Flügel“ zu spüren. Und mit einem Wahlsieg im Rücken könnte das innerparteiliche Gewicht von Björn Höcke, Andreas Kalbitz und Co. weiter zunehmen.

Denn der Osten ist das Kernland des „Flügel“. In Thüringen ist Gallionsfigur Höcke Spitzenkandidat, in Brandenburg „Flügel“-Strippenzieher Kalbitz. In beiden Ländern könnte die AfD ebenso wie in Sachsen deutlich mehr als 20 Prozent der Stimmen holen - und daraus einen Führungsanspruch ableiten. Erste Forderungen werden schon angemeldet. Der Tagesspiegel zitierte den sächsischen AfD-Vize Siegbert Droese mit den Worten, die Sachsen-AfD werden einen Platz an der Parteispitze beanspruchen; „idealerweise als Vorsitzender oder als Stellvertreter“. 

Kalbitz äußerte sich vorsichtiger, aber mit ähnlicher Stoßrichtung. „Ich halte die Idee einer Ost-West-Besetzung der Vorstandsspitze für nachvollziehbar“, sagte er. Aktuell führen mit Meuthen und Alexander Gauland zwei kaum der Ost-AfD zugerechnete Politiker die Partei - auch, wenn Gauland seinen Wahlkreis in Frankfurt (Oder) hat. Er garantiere, "dass dieser Bundesvorstand in dieser Zusammensetzung nicht wiedergewählt wird", sagte Höcke im Frühsommer.

Björn Höcke ist das Aushängeschild des rechten Flügels in der AfD. Er kandidiert bei der Landtagswahl in Thüringen.
Björn Höcke ist das Aushängeschild des rechten Flügels in der AfD. Er kandidiert bei der Landtagswahl in Thüringen. © dpa / Martin Schutt

Ob das für die AfD gut wäre, ist eine andere Frage. Jede Stimme für das Höcke-Lager im nationalistisch ausgerichteten Osten des Landes koste zehn Stimmen im Westen, ließ sich ein Mitglied der Parteispitze kürzlich von der Zeit zitieren. Zugleich zeigen Umfrage, dass radikal gesinnte AfD-Ministerpräsidenten nicht der Wunsch der Wähler sind - nicht einmal im Osten. Lauter werden dürfte der „Flügel“ nach den Wahlerfolgen aber so oder so.

Wahlen im Osten: Kommt jetzt die Minderheitsregierung?

Vor allem die Sachsen-Wahl könnte auch mit einer anderen Gewohnheit aufräumen - der steten Abneigung der deutschen Parteien gegen Minderheitsregierungen. In Dresden müsste Michael Kretschmer vermutlich mit SPD sowie Grünen oder Linken paktieren, um eine Regierungsmehrheit zu organisieren. Eine schmerzhafte Perspektive für die CDU. Schon den Grünen hatte Kretschmer vor der Wahl eine recht klare Absage erteilt. Eine Koalition mit der Linkspartei scheint noch unwahrscheinlicher.

Angesichts dessen - und des CDU-Parteibeschlusses gegen Bündnisse mit der AfD - scheint auf einmal eine Minderheitsregierung gar nicht mehr abseitig. Mehrheiten müssten dann themenbezogen gefunden werden. Eine Option, die streng genommen nicht viel utopischer scheint, als eine schwarz-rot-grüne Zukunftsvision für Sachsen zu erarbeiten. In anderen europäischen Ländern sind solche Konstellationen Usus. In Dänemark etwa verzichteten die Wahlgewinner zuletzt absichtlich auf Regierungs-Mehrheiten.

Das würde gleichwohl ein Risiko bedeuten. Und viel Arbeit im Tagesgeschäft. Dafür würde diese Lösung allen Parteien gestatten, ihr Profil besser zu wahren als bislang so oft - und mangelnde Wiedererkennbarkeit zählte zuletzt zu den großen Vorwürfen gerade an die Adresse der (Ex-)Volksparteien. Kretschmer hat ein solches Modell unter seiner Führung allerdings bereits ausgeschlossen. In Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen wurde gleichwohl schon einmal erfolgreich mit einer Minderheitsregierung gearbeitet. Und die sächsische FDP zeigte sich bereits offen für eine solche Zusammenarbeit.

Landtagswahlen Sachsen, Brandenburg, Thüringen: Sonderfall Ost als Argument fürs „Weiter so“?

Möglich ist am Ende aber auch, dass alles weitergeht wie bisher. Nötig wären dazu geschicktes Krisenmanagement der Parteioberen in SPD und CDU und ein kleines Koalitionswunder in Sachsen. Vor allem ersteres scheint möglich - denn bis die SPD ihre Parteispitze wählt und die CDU über die K-Frage entscheidet, ist es noch ein wenig hin. 

Und dann ist da noch ein anderes Argument, das so oder so ähnlich zuletzt nicht nur aus der AfD zu hören war: Bundestagswahlen werden im Westen entschieden, alleine schon aufgrund der Bevölkerungsverteilung. Das könnte vor allem den Führungspersönlichkeiten in CDU und SPD als Argument dienen, letztlich gar nicht so viel zu verändern. 

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Weiterlesen? Warum die AfD im Osten seit Jahren so stark ist, das erfahren Sie in diesem Artikel.

Kurz vor der Wahl in Sachsen hat sich Ministerpräsident Kretschmer erneut von der AfD distanziert. Den Rechtspopulisten sagt ein Experte etwas überraschend keine rosige Zukunft voraus.

In Brandenburg geht der Wahlkampf auf die Zielgerade. Hans-Georg Maaßen hat sich zurückgezogen, AfD-Mann Kalbitz gerät unter Druck.

Die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg Monika Herrmann hat kürzlich erklärt, dass ihr die Berliner Parks „als Frau zu gefährlich“ seien. Dabei hatte sie davor Drogenhändler in Schutz genommen.

fn

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