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Teilmobilmachung: Putin hofft auf 300.000 Invasions-Soldaten – geht aber auch ein Risiko ein

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Von: Stephanie Munk

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Wladimir Putin hat in einer TV-Ansprache die sofortige Teilmobilmachung angeordnet. Russland braucht mehr Soldaten an der Front - doch die innenpolitische Kritik am Krieg könnte steigen.

Moskau - Eine neue Eskalationsstufe im Ukraine-Krieg ist erreicht. Der russische Präsident Wladimir Putin reagiert auf die militärischen Erfolge der Ukraine und hat sich zu einem folgenschweren Schritt entschlossen. In einer Rede im russischen TV am Mittwochmorgen ordnete er das an, was von vielen befürchtet worden war: die sofortige Teilmobilmachung. „Um unsere Heimat und unsere Integrität zu schützen, halte ich es für notwendig, eine Teilmobilisierung zu unterstützen“, sagte der Kremlchef.

Putin ordnet Teilmobilmachung an: 300.000 Personen müssen sich zum Kriegsdienst melden

Das bedeutet: Personen, die in der Vergangenheit in der russischen Armee gedient oder eine militärische Ausbildung haben, müssen in den Ukraine-Krieg ziehen. Schon ab Mittwoch (21. September) müssten sich diese Personen für den Dienst melden, erklärte Putin. Ziel sei es, russische Gebiete zu verteidigen und den Donbass in der Ostukraine „zu befreien“. Russland werde alles tun, um sein Volk „zu verteidigen“, sagte Putin in seiner Ansprache an das russische Volk, denn der Westen, insbesondere die USA, wollten Russland zerstören.

300.000 Personen seien von der Teilmobilmachung betroffen, sagte der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu in einem TV-Interview - ob diese Zahl aber tatsächlich so zutrifft, ist unklar. Nach Informationen des Nachrichtensenders ntv soll es auch zahlreiche Ausnahmen geben, zum Beispiel für Studenten.

Für alle Personen, die von der Teilmobilmachung betroffen sind, gilt: Sie dürfen jetzt nicht mehr aus Russland ausreisen, sondern müssen sich für den Kampf im Krieg melden. Sie würden den gleichen Status und die gleiche Bezahlung bekommen wie die jetzigen Vertragssoldaten und vor dem Fronteinsatz noch einmal militärisch geschult werden, sagte Putin. Laut n-tv sind schon die ersten Einberufungsbefehle verschickt worden.

Knapp sieben Monate nach Beginn des Krieges gegen die Ukraine hat Russland eine Teilmobilmachung der eigenen Streitkräfte angeordnet.
Mehr Russen müssen in den Krieg: Knapp sieben Monate nach Beginn des Ukraine-Kriegs hat Russland eine Teilmobilmachung angeordnet. © Uncredited/AP/dpa

Putin ordnet Teilmobilmachung an - innenpolitisch birgt das ein Risiko

Mit der Entscheidung zur Teilmobilmachung geht der Kreml auch das Risiko, wachsender Kritik innerhalb Russlands am Ukraine-Krieg ein. Mehr Menschen kommen jetzt direkt mit den Folgen des Kriegs in Berührung. Es wird mehr Familien geben, von denen ein Mitglied in der Ukraine kämpft und stirbt. Die Augen vor dem Krieg - der in Russland nur „militärische Spezialoperation“ genannt werden darf - zu verschließen, wird schwerer. Bisher stammen viele der Soldaten, die in der Ukraine kämpfen, aus armen Regionen und von ethnischen Minderheiten.

Der Osteuropaexperte Sergej Sumlenny schreibt auf Twitter, die Teilmobilmachung sei ein Zeichen der aktuellen Schwäche Putins. „Er braucht mehr Manpower, kann das aber nicht in die Realität umsetzen.“ Der Schritt sei jedoch der „beste Weg, um Unruhe in Russland zu provozieren“. Er zitierte verzweifelte Beiträge aus russischen Foren von Müttern, deren Söhne oder Ehemänner nun für Putins Zwecke kämpfen sollen. Sumlenny ist Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew.

Der Militär-Fachmann Gustav Gressel hatte unlängst in einem Interview mit dem Münchner Merkur geurteilt, Russland benötige „etwa anderthalb Millionen zusätzliche Soldaten“, um die Ukraine besiegen zu können. Eine Generalmobilmachung sei aber eine innenpolitische Gefahr: „Weite Teile der urbanen Elite in den Krieg zu schicken, wäre ein gewaltiges Risiko.“ Zudem sei wegen der nötigen Ausbildung die Mobilmachung „keine Knopfdruck-Option“.

Putin schreckt vor Generalmobilmachung weiter zurück

Vor einer Generalmobilmachung schreckt Wladimir Putin indes offenbar weiterhin zurück. Diese würde bedeuten, dass alle russischen Staatsbürger mit militärischer Grundausbildung zum Kriegsdienst verpflichtet werden. Das könnten laut der Bundeszentrale für politische Bildung rund zwei Millionen Menschen sein. Betroffen wären dann auch Russen, die sich im Ausland aufhalten - sie müssten nach Russland zurückkehren, würden geschult und müssten in den Krieg ziehen.

In der Ukraine gilt bereits seit Beginn des russischen Angriffs eine Generalmobilmachung im Land. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kann also nicht nachziehen und ebenfalls mehr Menschen zur Verteidigung gegen Russland rekrutieren.

Putin ordne Teilmobilmachung an: Laut Militärexperten ist er zu diesem Schritt gezwungen

Laut dem Militärexperten Thomas Wiegold deutet die jetzt angeordnete Teilmobilmachung darauf hin, dass Russland schlicht die Soldaten ausgehen - vor allem gut ausgebildete Soldaten. Dieses Problem wolle man jetzt mit der Rekrutierung von Reservisten lösen, sagte er im Nachrichtensender ntv. Die Tatsache, dass es der russischen Armee aber auch an moderner militärischer Ausrüstung mangele, bleibe aber bestehen.

Der russische Verteidigungsminister Schoigu nannte am Mittwoch erstmals seit mehreren Wochen auch wieder Zahlen zu den gefallenen russischen Soldaten: 5937 Soldaten seien bisher im Ukraine-Krieg gefallen. Laut internationalen Beobachtern dürfte die Zahl aber wesentlich höher sein. Die Ukraine nennt mehr als 55.000 getötete russische Soldaten.

Russlands Präsident Wladimir Putin während der Fernsehansprache, bei der er die Teilmobilmachung im Land verkündete.
Russlands Präsident Wladimir Putin während der Fernsehansprache, bei der er die Teilmobilmachung im Land verkündete. © IMAGO/Russian Presidential Press and Information Office/TASS

Putin ordnet Teilmobilmachung an - Habeck spricht von „schlimmen und falschem Schritt“

Der deutsche Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne) kritisierte Putins Entscheidung zur Teilmobilmachung scharf. Das sei ein „schlimmer und falscher Schritt“, erklärte er. Die Bundesregierung berate derzeit über eine Antwort. Die Ukraine werde man weiterhin voll unterstützen.

Putin versucht noch, auf andere Weise im Ukraine-Krieg Fakten zu schaffen: Noch diese Woche wird es Schein-Referenden geben zur Annexion der teilweise besetzten Gebieten Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja an Russland. Die russische Regierung will diese Region offenbar offiziell als russisch erklären, um den Angriffskrieg auf die Ukraine als Verteidigung zu rechtfertigen.(smu/dpa/AFP)

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