Lanz attestiert Scholz nach G7 „Arroganz-Anfall“: Neubauer gruselt sich bei Einspieler - „So unangenehm“

Ukraine-Krieg, G7-Gipfel, Umweltschutz. Bei „Markus Lanz“ diskutieren zwei Generationen Deutschlands Handeln in der Welt – und die Jüngeren haben einiges zu kritisieren.
Hamburg – Einen Generationenstreit möchte Markus Lanz am Dienstag heraufbeschwören – über den G7-Gipfel, die Klimakatastrophe und den Ukraine-Krieg. Klimaaktivistin Luisa Neubauer und Journalistin Yasmine M‘Barek halten für „die junge Generation“ her, während der Moderator die Ökonomin Karen Pittel und den SPD-Politiker Ralf Stegner in „die ältere Generation“ einsortiert.
Klar wird schnell: Entlang dieser Altersgrenzen gibt es einige Meinungsverschiedenheiten. Den G7-Gipfel in Elmau etwa bewerten die beiden Lager zu Beginn der Sendung unterschiedlich. Stegners Ansicht, es sei besser, wenn sich die Weltelite treffe, um sich drängenden Problemen zu widmen, als wenn sie es nicht täte, widerspricht Neubauer: Es hapere an der Umsetzung. Fridays for Future habe „aus UN-Kreisen“ erfahren, dass Deutschland die Zusagen des UN-Klimagipfels in Glasgow unterwandere und „auf allen möglichen Ebenen für fossile Expansion“ kämpfe.
Dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) einer Journalistin in Elmau die Frage nach Sicherheitsgarantien für die Ukraine nicht beantworten wollte, hält M‘Barek für ein „Warnsignal”. Scholz gebe in seiner Position als Bundeskanzler zu wenige konkrete Antworten. „Das ist so unangenehm“, flüstert auch Neubauer während des zugehörigen Einspielers. Die gebürtige Hamburgerin Pittel hingegen teilt offenbar Scholz‘ Humor und muss lachen, ehe Stegner den Kanzler energisch verteidigt.
Öffentlich über diese Art von Sicherheitsgarantien zu sprechen, verbiete sich, die Journalistin hätte die Frage gar nicht stellen zu brauchen, Scholz habe das mit Humor quittiert. Lanz spricht von einem „Arroganz-Anfall“, weil Scholz nicht einmal erklärt habe, warum er nicht antworten wolle. Stegner findet: „Mir ist jemand, der arrogant wirkt, aber das in der Sache richtigmacht, lieber als jemand, der in so einer Situation geschwätzig Dinge rausplaudert.“
Der Ukraine-Krieg und seine Folgen – SPD-Politiker Stegner bei „Markus Lanz“: „Es wird nicht militärisch gelöst werden“
In der weiteren Debatte um den Ukraine-Krieg macht Stegner sich für diplomatische Lösungen stark. Die Vorstellung eines jahrelangen ukrainischen Stellungskriegs mit Russland, den der Westen immer weiter mit schweren Waffen versorge, missfällt dem SPD-Politiker: „Es wird nicht militärisch gelöst werden, das ist meine Überzeugung.“ Dass in den verminten ukrainischen Häfen derzeit keine Weizenfrachter verkehren können, sei möglicherweise der geeignete Weg, um Russland an den Verhandlungstisch zu bewegen, hofft Stegner, denn die Weizenknappheit treffe auch Putins Verbündete.
Lanz findet, Stegner klinge „ein bisschen wie der Kreml-Sprecher“. Neubauer hält dem alten SPD-Haudegen gar vor, „Frieden gegen Klimagerechtigkeit“ und „Hunger in Afrika gegen die Zerstörung der Ukraine“ auszuspielen. Stegner widerspricht, weder wolle er Dinge gegeneinander ausspielen, noch Russland in Schutz nehmen: „Man muss was gegen den Hunger tun. Das geschieht nicht, wenn die Schiffe nicht fahren können und da kein Getreide hinkommt. Wenn das da nicht hinkommt, sind bis dahin Tausende, Hunderttausende verhungert. Das kann nicht richtig sein.“
„Markus Lanz“ - das waren seine Gäste am 28. Juni:
- Ralf Stegner (SPD) – Politiker
Luisa Neubauer – Klimaaktivistin
Yasmine M’Barek – Zeit Online-Journalistin
Karen Pittel – Ökonomin
„Wären Sie denn für ein volles Energieembargo gegen Russland?“, möchte Neubauer in der Diskussion um Energiepreise und die Rohstoff-Abhängigkeit von Russland von Stegner wissen. Der befürchtet für diesen Fall das Schlimmste. Massenarbeitslosigkeit, Unruhen sowie der Zusammenbruch der Demokratie stünden zu befürchten, rechte Kräfte wären die möglichen Profiteure: „Dann triumphieren die Rechtsradikalen in Deutschland, das kann man doch schon kommen sehen.“
Talkmaster Lanz ruft den „Gelehrtenstreit“ über die Auswirkungen eines Embargos auf die Bundesrepublik in Erinnerung. Pittel meint, dass Deutschland einen solchen Einbruch verkraften könnte, auch wenn neuere Berechnungen ein Schrumpfen der Wirtschaft von bis zu 13 Prozent ergäben. „Aber dann reden wir ja wirklich von Massenarbeitslosigkeit“, stellt Lanz ernüchtert fest. Pittel befürchtet dagegen, dass die Folgen einer Politik, die nach Systemrelevanz entscheidet, ob ein Unternehmen Gas beziehen darf oder nicht, auf lange Sicht Schäden einer ähnlichen Größenordnung nach sich zieht.
„Markus Lanz“: diskutieren Luisa Neubauer und Ralf Stegner ein umfassendes Rohstoff-Embargo gegen Russland
Moderator Lanz räsoniert daraufhin über mangelnde Konfrontation mit dem Thema „Verzicht“. Ein Beispiel sei das immer wieder scheiternde Tempolimit. Stegner pflichtet bei – was erneut Pittel auf den Plan ruft: „Wie viel bringt das? Haben Sie das mal ausgerechnet?“ Es sei problematisch, dass eine Maßnahme, die „fast nichts“ bringe, so prominent diskutiert werde. Beim Tempolimit handele es sich um Symbolpolitik, doch die Problemlage verlange mehr als das. Auch M‘Barek findet, dass Energie im „staatlich großen Stil“ gespart werden müsste, statt viele kleine Maßnahmen „zu Tode“ zu diskutieren: „Ich glaube, würde irgendwo ein Start gesetzt werden, wären kleinere Debatten wie das Tempolimit nicht mehr von so ideologischer Kraft geprägt.“
Neubauer runzelt immer wieder die Stirn, ehe sie das Wort ergreift. Es gebe inzwischen Studien zur Frage, welche Maßnahmen wie viel brächten, auch ein Tempolimit und andere Gewohnheitsänderungen seien dabei Thema. Allerdings zwinge der Klimawandel schon heute Menschen Einschränkungen auf, Wassermangel und Dürren in Europa zeugten von dieser Entwicklung. Die Klimaaktivistin findet: „Die Frage ist: Wo verzichten wir? Fangen wir an, umzustrukturieren wie wir das wollen, wie wir es sozial gerecht machen können? Oder lassen wir das die Katastrophe diktieren?“
Luisa Neubauer bei „Markus Lanz“: „Gute Nacht, Marie! Es wird unkalkulierbar“
Stegner meint, die von Neubauer formulierte Frage sei der Grund für das Zustandekommen der Ampel-Koalition: „Dass wir wissen: Wir müssen unsere Industriegesellschaft umbauen, hin zu Klimaschutz. Und das müssen wir deutlich schneller machen.“ Neubauer entgegnet, sie habe den Eindruck, dass dieser politische Wille nicht existiere: „Wenn man mit der politischen Energie, mit der Olaf Scholz und seine Kollegen gerade um die Welt reisen und fossile Energien einkaufen, zubauen und neu verhandeln – wenn man mit der Energie anfangen würde, klimagerechte Transformation zu gestalten, dann wäre natürlich etwas ganz anderes möglich.“
Auch M‘Barek bezeichnet den Umbau einer klimaneutralen Industrienation angesichts des Koalitionsvertrages von SPD, Grünen und FDP als „Illusion“. Stegner rutscht ungeduldig auf seinem Stuhl hin und her, hebt den Finger und sagt: „Zeigen Sie mir einen Koalitionsvertrag in Deutschland oder sonst wo, wo mehr dazu drinsteht.“ M‘Barek geht es wiederum einzig um die Frage, ob mit den beschlossenen Maßnahmen der 1,5-Grad-Pfad eingehalten werden kann oder nicht.
Neubauer stößt in diesem Zusammenhang sauer auf, dass Scholz im Senegal für die Erschließung eines Gasfeldes vor der Küste geworben hat. Für die Klimaaktivistin ein Rückschlag: „Wir wissen, das sagen Studien ganz klar: Es kann kein einziges neues Gasfeld weltweit geben, um auf dem 1,5-Grad-Pfad zu bleiben.“ Gleichzeitig müsse Deutschland bis 2035 klimaneutral werden, was Neubauer in der Summe Kopfschmerzen zu bereiten scheint: „Es geht vorne und hinten nicht auf. Im wenig schlimmsten Fall sind das Milliardensummen, die leeres Geld sind, ‚stranded assets‘ (‚Gestrandete Vermögenswerte‘). Wenn sich das alles so manifestiert, dann gute Nacht, Marie! Es wird unkalkulierbar.“ Stegner gibt den Gelassenen, Neubauer beschreibe „Horrorszenarien“. Doch die kontert: „Nein, das haben Sie vorhin gemacht. Ich habe beschrieben, was Olaf Scholz ganz real an Politik macht.“
„Markus Lanz“ - Das Fazit der Sendung
Bei „Markus Lanz“ entbrennt am Dienstagabend eine teils hitzige Debatte zwischen der Klimaaktivistin Luisa Neubauer, der Journalistin Yasmine M‘Barek, der Ökonomin Karen Pittel und dem Politiker Ralf Stegner (SPD). Immer wieder redet das Quartett aneinander vorbei, bittet sich gegenseitig, aussprechen zu dürfen und nimmt sich anschließend reichlich Zeit für die jeweils eigene Antwort. Talkmaster Markus Lanz lässt dem Hin und Her zumeist freien Lauf und fungiert als Stichwortgeber für seine engagierten Gäste. (Hermann Racke)