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„Kultureller Minderwertigkeitskomplex“ - Warum ist Deggendorf eine AfD-Hochburg?

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Nach der Bundestagswahl - AfD-Wahlplakat in Deggendorf
Im niederbayerischen Deggendorf holte die AfD bei der Bundestagswahl 19,2 Prozent. © dpa / Armin Weigel

Ostbayern gilt als Hochburg der AfD. Doch warum findet die rechtspopulistische Partei gerade hier so viel Zuspruch? Wer sich in Deggendorf umhört, stellt fest: Es geht längst nicht nur um Flüchtlinge.

Deggendorf - Deggendorf, das Tor zum Bayerischen Wald. So wirbt die niederbayerische Kreisstadt für sich. Hochschulstandort mit fast 35.000 Einwohnern, katholisch und konservativ. Dazu eine florierende Wirtschaft und ein buntes Vereins- und Kulturleben. Ein liebliches Fleckchen Erde, das 2013 durch die Jahrtausendflut bundesweit Schlagzeilen machte.

Mit der Bundestagswahl 2017 wurde aus der Stadt des Hochwassers die AfD-Hochburg. Im Wahlkreis Deggendorf kam die Partei auf 19,2 Prozent und war damit bayernweit am stärksten. Auf den Plätzen zwei bis fünf folgten die ostbayerischen Wahlkreise Straubing, Schwandorf, Rottal-Inn und Passau. Wie konnte das passieren? Eine Spurensuche.

Vor dem Wirtshaus Straubinger Hof in Deggendorf sitzen drei Gäste in der Mittagssonne. Es gibt Bier und ein Schnapserl. Die beiden Männer und eine Frau diskutieren über die Landtagswahl. „Die AfD wird in Deggendorf sicher zweitstärkste Partei“, sagt Karl Siebert. „Die Mädels trauen sich hier abends einfach nicht mehr raus. Sie haben Angst, obwohl die Leute ihnen nichts tun.“ Seine Tischnachbarin, die ihren Namen nicht genannt wissen will, fühlt sich nicht gestört. „Hier ist doch nachts gähnende Leere. Verbrecher und Gauner gibt es doch überall - egal, aus welchem Land.“

„Im Stadtbild sind sie nicht stark sichtbar“

„Die Leute“, von denen Siebert und seine Tischnachbarin reden, das sind die rund 550 Flüchtlinge, die im Ankerzentrum im Deggendorfer Bahnhofsviertel leben. Die meisten kommen aus Sierra Leone, Nigeria, Aserbaidschan und Eritrea, wie Hans-Jürgen Weißenborn von der Caritas berichtet. Bis zu 24 Monate seien die Flüchtlinge hier. „Im Stadtbild sind sie nicht stark sichtbar.“ Die Kriminalität habe nicht zugenommen, sagt Weißenborn und verweist auf die Polizeistatistik. Trotzdem verspürten Anwohner ein Gefühl der Unsicherheit.

Diese Verunsicherung sei schwer greifbar, sagt Paul Linsmaier, CSU-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat. Im Sommer habe es Probleme wegen Lärms am Ankerzentrum gegeben. Da habe die Stadt etwa 2500 Anwohner zum Gespräch eingeladen. „Gekommen sind vielleicht 150.“ Die Debatte sei sachlich gewesen und das Problem konnte geklärt werden.

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Dann habe eine Frau gesagt, wenn sie mit dem Kinderwagen auf dem Gehweg gehe und ihr drei Flüchtlinge begegnen, müsse sie über die Straße ausweichen und die Flüchtlinge blieben auf dem Gehweg. „Da gab es tosenden Applaus.“ Es sei absolut nachvollziehbar, dass die Leute so etwas stört - jedoch auch schwierig, eine Gegenstrategie zu entwickeln.

Linsmaier ist ein wenig ratlos, warum die AfD in Ostbayern so stark ist. Schließlich gehe es Deggendorf sehr gut. Und dennoch hätten die Menschen Zukunftsängste. Wohnungsbau, Digitalisierung - vieles sei im Umbruch. Viele AfD-Wähler seien wohl Anti-Merkel-Wähler, meint er. „Die aktuelle Bundespolitik befeuert den AfD-Zulauf massiv.“

Katrin Ebner-Steiner macht Wahlkampf auf dem Stadtplatz. Die Landtagskandidatin und Mutter von vier Kindern gilt als AfD-Hardlinerin, nah an Björn Höcke und Anwärterin auf den Vorsitz einer künftigen Fraktion im Maximilianeum. Mit scharfen Aussagen etwa gegen Moscheen machte sie von sich reden. „Alles nur Wahlkampfrhetorik“, sagt die Bilanzbuchhalterin. Sobald die AfD im Landtag sei, würde sie gemäßigter auftreten.

„Das sind Dinge, die kann man in Niederbayern nicht erklären“

„Die CSU ist mit Merkel nach links verrutscht“, meint Ebner-Steiner. Die CSU habe gesagt, sie klagten gegen die Ehe für alle - stattdessen fuhren sie beim Christopher Street Day mit. „Das sind Dinge, die kann man in Niederbayern nicht erklären.“ Sie finde, „dass man seine sexuelle Orientierung nicht halbnackt auf einem lustigen Wagen präsentieren muss“. In der AfD gebe es viele Homosexuelle, die seien „sehr konservativ und finden dieses Gebaren auch befremdlich“.

Die AfD hat nach eigenen Angaben in Bayern seit Jahresbeginn gut 5000 Mitglieder hinzugewonnen - die meisten aber nicht in Niederbayern oder der Oberpfalz, sondern im einwohnerstärksten Bezirk Oberbayern. Da kamen fast 2000 hinzu, auch in Schwaben ist der Zulauf groß.

Jüngst war bekanntgeworden, dass die Deggendorfer Staatsanwaltschaft nach einer Flut von Hasskommentaren auf der Facebook-Seite der örtlichen AfD fast 100 Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung eingeleitet hat. Im Dezember hatten afrikanische Asylbewerber unter anderem mit Hungerstreiks für bessere Unterbringung protestiert. Die Deggendorfer AfD postete einen Livestream auf ihrer Facebook-Seite, zahlreiche Internetnutzer ließen darunter ihrer Wut freien Lauf.

Doch nicht nur in der Anonymität des Netzes scheinen Bürger ihre Berührungsängste mit der AfD abzulegen: Ebner-Steiner sagt, dass die Leute, die an ihren Info-Stand kommen, heute ganz offen zum Flyer der Rechtspopulisten greifen. Letztes Jahr, so sagt sie, hätten Interessenten die Prospekte noch eher verstohlen mitgenommen.

Region ist wirtschaftlich abgehängt

Der Regensburger Politikwissenschaftler Alexander Straßner spricht von einem „kulturellen Minderwertigkeitskomplex“ des Bayerwälders. Viele Ostbayern fürchteten wohl, durch die Flüchtlingssituation sozial abzusteigen. Durch die Grenznähe und hohe Arbeitslosigkeit war die Region einst nicht nur abgeschieden, sondern auch wirtschaftlich abgehängt.

Die AfD habe stark mit einem angeblichen Kontrollverlust des Staates argumentiert. In Grenznähe hätten die Menschen einen solchen Kontrollverlust 2015 direkt miterlebt, sagt Straßner. Bemerkenswert sei, dass in Ostbayern letztlich aber gar nicht so viele Flüchtlinge leben. „Aber je weniger der Kontakt da ist, desto größer ist das Feindbild.“ Straßner sagt, die Menschen fühlten sich von der Politik nicht wirklich ernst genommen. „Es gibt einen Wunsch nach Veränderung, und der kann sich ja nur in Protestwahl äußern.“

„Wenn sie handeln, dann verkehrt“

Am Biertisch im Straubinger Hof bricht es aus Siebert heraus: Dauernd Streit zwischen CSU und CDU, und dieser Aufwand „wegen fünf Migranten an der Grenze“. Dass die CSU in Umfragen nur noch auf 35 Prozent komme, sei ein Skandal. „Die reden nur und handeln nicht. Und wenn sie handeln, dann verkehrt.“ Diese Entwicklung spiele der AfD in die Karten. „Die Beschaulichkeit in Deggendorf gibt es nicht mehr“, sagt Siebert. Zu viele Studenten, zu wenige Wohnungen, das Ankerzentrum, überall werde gebaut, es werde alles zu teuer und zu hektisch. „Der Deggendorfer will das nicht!“

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dpa

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