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Griechenland: Pushbacks in die Türkei führen „bewaffnete Kriminelle“ durch

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Von: Erkan Pehlivan

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Ein Bericht wirft Griechenland vor, Menschen illegal in die Türkei abzuschieben. Bei diesen Pushbacks sollen Schutzsuchende geschlagen und bedroht werden.

Athen - Immer wieder werden Geflüchtete in Griechenland illegal in die Türkei abgeschoben .Die Folgen besonders für türkische Staatsbürger sind dabei verheerend. Auf türkischem Boden angekommen werden diese Menschen festgenommen und ins Gefängnis gesteckt. Für die Betroffenen bedeutet das Verhaftung, willkürliche Gerichtsprozesse und jahrelange Haft.

Jetzt hat die von Exilanten aus der Türkei gegründete Menschenrechtsorganisation „Human Rights Defenders“ mit Opfern dieser Pushbacks gesprochen und verschiedene Fälle zusammengefasst. Die Autoren des Berichts haben bei ihren Interviews mit ehemaligen Betroffenen massive Rechtsverstöße dokumentiert. Angekommen auf griechischer Seite werden die Schutzsuchenden entweder von der Polizei, Grenzsoldaten oder Männern mit Skimasken entgegengenommen.

Griechenland: Grenzwächter arbeiten mit Türkei zusammen

In vielen Fällen werden die Opfer zuerst in Gebäuden gebracht, anschließend in Boote gesetzt und auf die türkische Seite gebracht. In manchen Fällen berichten die Opfer, dass sie auf griechischer Seite von Männern verhört wurden, die akzentfreies Türkisch sprachen. Daher vermuten die Opfer, dass die griechischen Behörden mit den türkischen Beamten zusammenarbeiten. In manchen Fällen sollen griechische Sicherheitskräften ihre Opfer bei solchen Verhören geschlagen haben.

Schiffbruch vor der griechischen Insel Mykonos
Schiffbruch vor Mykonos © dpa/Hellenic Coast Guard

Mobiltelefone und Geld werden den Schutzsuchenden weggenommen

Die Schutzsuchenden werden beim Aufgreifen auf griechischer Seite durchsucht. Dabei werden den Menschen Dokumente, Mobiltelefone und Geld weggenommen. Ihr Geld und Mobiltelefone wurden vielen ihrer Opfer vor dem Pushback nicht mehr zurückgegeben, berichtet eine Betroffene in dem Bericht. Diejenigen, die ihr Geld zurückwollten, wurden in vielen Fällen von ihren Peinigern mit Waffen bedroht oder geschlagen. Auch das findet sich in dem Bericht.

Griechenland lässt Pushbacks in die Türkei durch maskierte Männer durchführen

In anderen Fällen sollen die Pushbacks aus Griechenland in die Türkei durch kriminelle Gruppen durchgeführt worden sein. Die Opfer berichten von Männer mit Skimasken, die bewaffnet und mit großer Brutalität den Schutzsuchenden ihre Wertgegenstände abnehmen und diese anschließend in Booten wieder in die Türkei brachten.

Eine betroffene Türkin berichtet, dass sie gemeinsam mit ihren zwei Kindern und weiteren acht Schutzsuchenden von solchen maskierten Männern am Grenzfluss Evros aufgegriffen wurde. „Wir haben sie angefleht, dass sie uns nicht zurückschicken sollen, weil sie uns auf türkischer Seite festnehmen und ins Gefängnis stecken würden. Einer der maskierten Männer hat daraufhin seine Pistole herausgezogen und auf mich gerichtet“, erzählt die zweifache Mutter, die nicht namentlich genannt werden möchte. Alle elf Personen samt Kinder mussten in ein Boot steigen und wurden dann auf die türkische Seite gebracht. Die Frau tauchte auf türkischer Seite unter und hatte bei einem zweiten Versuch Glück.

Diese Männer werden von ihren Opfern in dem Bericht übereinstimmend als Personen beschrieben, die keine griechischen Sicherheitskräfte seien. Die Opfer vermuten, dass es sich dabei um Männer aus dem arabischen oder afghanisch-pakistanischen Raum stammen, schreibt der Bericht.

„Erschreckend, dass Pushbacks an kriminelle Gruppen ausgelagert werden“

Wir haben Experten mit den Vorwürfen konfrontiert. „Ich kann es mit gut vorstellen“, sagt Martin Lesenthin, Menschenrechtsexperte und Vorstandssprecher der „Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte“ (IGFM). „Es ist erschreckend, wenn diese Pushbacks jetzt auch noch an bewaffnete ausländische kriminelle Gruppen ausgelagert werden“, so Lesenthin.

Martin Lesenthin, Vorstandssprecher der IGFM, kritisiert Vorgehen der Türkei in Afrin.
Martin Lesenthin, Menschenrechtsexperte und Vorstandssprecher der IGFM © U. Grenzer/Martin Lesenthin

Griechenland: „Innen- und Außenministerium machen sich strafbar“

Rechtsanwalt Dündar Kelloglu vom Flüchtlingsrat Niedersachsen zeigt sich im Gespräch mit unserer Redaktion empört. „Wenn sich das bewahrheitet und vieles spricht dafür, dann ist das ein Skandal“, so Kelloglu. „Das bedeutet dann, dass sich sowohl das griechische Innenministerium als auch das Außenministerium strafbar machen“.

Experten fordern klare Konsequenzen für Griechenland

Auch die Menschenrechtsorganisation „Pro Asyl“ ist besorgt wegen der Pushbacks von Schutzsuchenden an den EU-Außengrenzen. „Pushbacks sind krasse Menschenrechtsverletzungen, die immer mehr EU-Staaten an ihren Grenzen verüben. Die EU schaut diesem Treiben tatenlos zu, anstatt entsprechende Vertragsverletzungsverfahren gegen Staaten wie Griechenland einzuleiten,“ erzählt uns Wiebke Judith, Rechtsexpertin bei Pro Asyl.

Die Autoren des Berichts fordern klare Konsequenzen. „Wir fordern gegen Griechenland die Einleitung eines Gerichtsverfahrens wegen Verstoßes gegen das EU-Recht, das Pushbacks ganz klar verbietet. Griechenland muss hier wieder zu den europäischen Werte zurückkehren“, so Oguzhan Albayrak, der Generalsekretär von Human Rights Defenders im Gespräch mit unserer Redaktion. Größter Kritikpunkt bleibt, dass den Schutzsuchenden der Zugang zu einem Asylverfahren von vornherein verwehrt wird, ein Verstoß gegen griechisches und europäisches Recht.

Denn gerade politisch Verfolgte aus der Türkei erwarten bei einem Pushback Festnahmen, Folter und willkürliche Gerichtsprozesse wegen Terrordelikte.

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