Türkischer Exiljournalist in Hessen ausgespäht: Steckt der Geheimdienst MIT dahinter?

Trotz Auskunftssperre wurde der Wohnort eines Exiljournalisten ausfindig gemacht und anschließend in der türkischen Zeitung „Sabah“ veröffentlicht.
Frankfurt - Es war ein Schock für den Exiljournalisten Cevheri Güven aus der Türkei. Gestern titelte die regierungsnahe türkische Zeitung Sabah, sie habe den „Provokateur“ und sein „Verleumdungsnest“ ausfindig gemacht. Auch der Investigativjournalist und das Wohnhaus in Babenhausen, in dem er gemeinsam mit seiner Familie lebt, wurden auf der Titelseite des Blattes abgelichtet. In dem dazugehörigen Artikel bezeichnet die Zeitung den Journalisten unter anderem als Terroristen.
Korruptionsfälle im Umkreis von Erdogan und Mafia-Verbindungen
Güven hat seit seinem Exil mehr als 200 Videos auf seinem YouTube-Kanal veröffentlicht, in dem er die Korruptionsfälle aus dem Umkreis von Präsident Recep Tayyip Erdogan und die Verbindungen von Regierungsmitgliedern zur organisierten Kriminalität offenlegt. Immer wieder wird Güven auch in anderen regierungsnahen Medien in der Türkei kritisiert, unter anderen sei er Mitglied der Bewegung um dem im US-Exil lebenden Predigers Fethulah Gülen, die Erdogan und seine Regierung seit dem Putschversuch am 15. Juli 2016 als Terrororganisation einstuft und vorwirft, hinter dem Putschversuch am 15. Juli 2016 zu stecken.
Exiljournalist deckt Rolle von MIT zum Putschversuch auf
FR.de hat mit dem Exiljournalisten gesprochen. „Ich glaube die Erdogan-nahen Medien haben meinen Wohnort wegen meines Videos vom 4. September veröffentlicht. In dem Video habe ich konkrete Verbindungen zwischen dem türkischen Geheimdienst MIT und dem Putschversuch aufgeführt“. Güven hatte darin erzählt, wie sich die Moderatorin Hande Firat (CNN Türk) nur einen Tag vor dem Putschversuch mit dem Leiter des Pressedienstes des türkischen Geheimdienstes MIT, Nuh Yilmaz, getroffen hatte.
In der Putschnacht hatte sie während ihrer Nachrichtensendung über ihr Smartphone Erdogan live zugeschaltet und ihr Gerät in die Kamera gehalten. Darin hatte Erdogan die Bevölkerungen aufgerufen auf die Straßen zu gehen. Dabei war etwas schiefgelaufen: Firat bekam während der Live-Schaltung einen Anruf des Geheimdienstmitarbeiters, den sie aber sofort wegdrückte. Der Name von Nuh Yilmaz war auf dem Smartphone deutlich zu erkennen. „Mein Video hat die ganze Thematik in der Türkei verändert. Es wurde tagelang nur darüber gesprochen“, erzählt Güven. Über die Rolle des MIT beim Putschversuch zu sprechen, habe allerdings die rote Linie von Erdogan überschritten, erzählt uns der Journalist.
Welche Rolle spielt der türkische Geheimdienst MIT?
Den Wohnort von Cevheri Güven kann unter normalen Umständen nicht herausgefunden werden. Umso mehr geht Güven davon aus, dass hier der türkische Geheimdienst MIT involviert ist. „Es bestand eine Auskunftssperre. Meine Adresse konnte man also unter normalen Umständen nicht herausbekommen“. Der Journalist Abdurrahman Simsek, der Urheber des Artikels ist, sei zudem dafür bekannt, dass er mit dem MIT zusammenarbeitet und von dort Material bekommt, die er dann veröffentlicht, sagt Güven. Auch die Wohnorte anderer Regimekritiker habe Simsek so öffentlich gemacht.
„Sittenlosigkeit“: Sabah hat Grenze überschritten
Während die Sabah als auch der zum selben Konzern zugehörige TV-Sender „A-Haber“ den Bericht als Erfolg feiern, bekommt der Investigativjournalist Solidarität von Kollegen und verschiedenen Organisationen. „Der Geheimdienst des Palastes fotografiert heimlich das Wohnhaus von Cevheri Güven, der die schmutzige Wäsche der Regierung öffentlich gemacht hat, und macht ihn so zur Zielscheibe“, kommentiert Can Dündar in einem Video in den sozialen Medien, der ebenfalls im deutschen Exil lebt und von regierungsnahen Journalisten und türkischen Nationalisten angefeindet wird.
Auch der Journalist Erk Acerer, der ebenfalls wegen der Repressalien nach Deutschland geflohen ist, zeigt sich ebenfalls in einem Video empört. „Das ist kein Erfolg für den Journalismus. Hier wurde in Sachen andere zur Zielscheibe machen und Sittenlosigkeit eine Grenze überschritten“. Acerer wurde im Juli 2022 vor seinem Wohnhaus in Berlin von mehreren Personen mit Faustschlägen angegriffen worden. Auch Acerer berichtet immer wieder über Korruption und den Verbindungen von Regierungsmitgliedern zur organisierten Kriminalität.
DJU: Bespitzelung und Bedrohung von Journalisten nicht hinnehmbar
Die „Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union“ (DJU) fordert Schutz für betroffene Exiljournalist:innen. „Es ist nicht hinnehmbar, dass schutzsuchende Exiljournalist:innen aus der Türkei in Deutschland bespitzelt und bedroht werden. Wenn ein Journalist zur Zielscheibe gemacht wird, indem er als Terrorist bezeichnet und sein Wohnort veröffentlicht wird, sind die zuständigen Behörden aufgefordert, für seine Sicherheit zu sorgen. Wir müssen dafür sorgen, dass kritische Stimmen nicht aus Angst vor Übergriffen verstummen,“ so Anja Willman im Gespräch mit unserer Redaktion.
IGFM: Pressefreiheit ist Grundpfeiler der Demokratie
Auch die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) fordert Schutz für Exiljournalist:innen „Pressefreiheit ist ein Grundpfeiler der Demokratie. Journalisten wie Cevheri Güven, die vor politischer Verfolgung nach Deutschland geflohen sind, müssen in Deutschland in Sicherheit leben können. Wir fordern die deutsche Bundesregierung auf, die Menschenrechtsverletzungen der türkischen Regierung zu benennen und die Sicherheit von Exiljournalisten in Deutschland zu gewährleisten“ teilt die IGFM in einer Stellungnahme mit.
Cevheri Güven will trotz Drohungen weiter machen
Obwohl Cevheri Güven hier öffentlich zur Zielscheibe erklärt wird, will der Journalist weitermachen. „Ich werde nicht aufhören. Mit solchen Berichten will die AKP-Regierung und ihre Helfershelfer kritischen Stimmen jetzt auch im Ausland mundtot machen“, sagt Güven. Sein Youtube Kanal hat die größte Reichweite unter Türkei-stämmigen Journalist:innen. Obwohl immer wieder die türkische Regierung die Videos von Güven sperren lässt, werden seine Videos durch technische Tricks auch in der Türkei immer wieder angeschaut. (Erkan Pehlivan)