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Brexit und Europawahl: Müssen die Briten doch noch wählen gehen?

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Europawahl trotz Brexit? Wenn London keine schnelle Lösung findet, wird die Wahl unvermeidlich.
Europawahl trotz Brexit? Wenn London keine schnelle Lösung findet, wird die Wahl unvermeidlich. © dpa / Monika Skolimowska

Muss das Vereinigte Königreich trotz Brexit an der Europawahl 2019 teilnehmen? Das sind die möglichen Szenarien, die jetzt auf Europa zukommen.

London/Brüssel - Großbritannien wird die Europäische Union verlassen. Soviel steht fest. Über die Details und den genauen Termin herrscht aber immer noch Unsicherheit. Eigentlich hätte der Brexit am 29. März 2019, dann, nach Verhandlungen, am 12. April 2019 vollzogen sein müssen. Laut den ursprünglichen Plänen hätte Großbritannien an diesen Tagen die EU verlassen - ganz egal, ob es einen Vertrag über einen geordneten Austritt gibt. Ein völlig ungeregelter Brexit war allerdings für beide Seiten keine Option.

Im letzten Moment hat die EU einen zeitlich flexiblen Aufschub gewährt. Zu den Bedingungen nach dem Brexit-Gipfel zählt, dass Großbritannien die Funktionsfähigkeit der EU in dieser Zeit nicht behindert, das Abkommen mit der EU nicht neu verhandeln kann und abhängig vom Austrittsdatum an der Europawahl teilnimmt. Der letzte Termin für einen geordneten Brexit ist nun erst der 31. Oktober 2019. 

Das innenpolitische Chaos, das sich im britischen Unterhaus entfaltet hat, beeinflusst nun auch massiv die Europawahl 2019. Großbritannien wird trotz des Brexits mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch Teil der Europäischen Union sein, wenn Ende Mai der Wahltag vor der Tür steht. Dann werden unweigerlich britische Abgeordnete ins Europaparlament gewählt.

Brexit und Europawahl 2019: Muss Großbritannien noch einmal wählen?

Genau wie in Deutschland gibt es auch in Großbritannien einen traditionellen Wochentag, an dem gewählt wird. Dort ist es allerdings kein Sonntag, sondern immer ein Donnerstag. Demnach würden die Briten am 23. Mai an der Wahl des Europäischen Parlaments teilnehmen. Die einzige Alternative wäre, dass Großbritannien bereits vor diesem Termin endgültig den Brexit vollzieht. Für einen so schnellen Austritt, den Theresa May eigentlich favorisiert, hat die Premierministerin aber keine Mehrheit in London.

Ein Verzicht auf die Wahlen ist mit einem Brexit später in diesem Jahr nicht vereinbar. Falls Großbritannien als EU-Mitglied keine Europawahl abhält, hat das automatisch den Ausschluss aus der Europäischen Union zum 1. Juni 2019 zur Folge. Denn solange der Brexit nicht vollzogen ist, bleibt Großbritannien an die geltenden europäischen Verträge gebunden.

Video: Brexit-Frist bis Oktober verlängert

Was passiert, wenn der Brexit vor der Europawahl eintritt?

Falls es doch zu einem schnellen Brexit kommt, würde im Europaparlament sofort eine neue Sitzverteilung greifen. Der Beschluss hierfür stammt aus dem Jahr 2018. Von den bisher 73 Sitzen für das Vereinigte Königreich sollen nur 27 neu verteilt werden. Davon würden 14 Länder profitieren, die bisher leicht unterrepräsentiert sind. 46 Sitze werden nicht neu verteilt. Sie sind als eine Reserve für mögliche EU-Beitritte weiterer Staaten vorgesehen. Die Zahl der Abgeordneten sinkt in diesem Fall von 751 auf 705. Wer in Deutschland die meisten Sitze holen wird, deuten im Vorfeld bereits die aktuellen Europawahl-Umfragen an.

Was passiert, wenn die Europawahl 2019 vor dem Brexit stattfindet? Auswirkungen auf Weber

Wenn die Briten an der Europawahl teilnehmen, ändert sich zunächst nichts an der Sitzverteilung im Europaparlament. Die großen Änderungen kommen erst, wenn der Brexit vollzogen ist. Nach dem Austritt verlieren die britischen Abgeordneten ihre Mandate und scheiden aus dem Parlament aus. Anschließend soll die neue Sitzverteilung eingeführt werden.

Diese Option ist in der EU nicht bei allen beliebt. Der Spitzenkandidat der konservativen Europäischen Volkspartei Manfred Weber (CSU) erklärte hierzu: „Ich kann niemandem erklären, wie es sein kann, dass ein Land, das aus der EU austritt, maßgeblichen Einfluss auf die Europawahl nehmen wird.“ Sein sozialdemokratischer Kontrahent Frans Timmermans kann der Situation entspannter entgegensehen. Wenn Großbritannien wählen geht, steigen seine Chancen darauf, doch noch überraschend die stärkste Fraktion im Europaparlament anzuführen. Die Prognosen zeigen, dass die sozialdemokratische Labour-Partei einen Sieg gegen Theresa Mays konservative Tories erwarten darf. Im Wettstreit um das Amt des EU-Kommissionspräsidenten wären diese Stimmen für Timmermans dringend notwendig. Ohne die britischen Sitze liegt die EVP voraussichtlich klar vorne - und die Wahl von Manfred Weber zum EU-Kommissionspräsidenten wäre fast nur noch Formalität.

Was bedeutet es für Großbritannien, wenn dort die Europawahl stattfindet?

Wäre beim Brexit alles rund gelaufen, hätte es keine Diskussion um die Europawahl geben müssen. Für den Fall der Fälle hat die britische Wahlkommission allerdings frühzeitig rund eine Million Pfund zurückgestellt, die den Aufwand für die Wahl finanziell abdecken sollen.

Theresa May möchte den Brexit noch vor dem Termin der Europawahl 2019.
Theresa May möchte den Brexit noch vor dem Termin der Europawahl 2019. © dpa / Thierry Roge

Politisch ist die Europawahl im Vereinigten Königreich hoch brisant, denn sie gilt vielen Brexit-Gegnern als ein Ersatz für das zweite Referendum über den EU-Austritt, das ihnen bisher verwehrt geblieben ist. Die Umfragen zeigen, dass die Regierung mit einer harten Abstrafung für das Brexit-Chaos rechnen muss. In den Prognosen von Ende März und Anfang April fielen die Werte für die Konservativen auf unter 25 Prozent. Die Labour-Opposition konnte im selben Zeitraum bis zu 38 Prozent der Wähler für sich begeistern. Deshalb wird eine Schicksalswahl für Theresa May erwartet.

Gegner des Brexits verbinden mit der verlängerten Frist für den EU-Austritt aber auch ganz konkret die Hoffnung, dass doch noch ein zweites Referendum stattfinden kann. Für die Briten wäre das ein zweiter, unerwarteter Gang zur Wahlurne in diesem Jahr.

Boris Johnson könnte neuer britischer Premierminister werden und für den Brexit zuständig sein. Im Vereinigten Königreich ist er für einige Skandale bekannt.

Wer wird Theresa May als Großbritanniens Premierminister nachfolgen: Favorit Boris Johnson oder doch Jeremy Hunt? Am 23. Juli soll das Endergebnis der Tory-Briefwahl feststehen. 

rm

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