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Corona: Deutsche Reporterin begleitet Hilfsaktion - und erlebt dramatischen Flug

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Die Maschine steckt fest: Reporterin Jenny Schuckardt berichtet aus Kolumbien.
Die Maschine steckt fest: Reporterin Jenny Schuckardt berichtet aus Kolumbien. © privat

Unsere Reporterin hat eine Corona-Mission in Kolumbien begleitet, die Schutzkleidung und Desinfektionsmittel in abgelegene Dörfer am Pazifik fliegen. Denn die große Gefahr ist, dass dort das Virus ausbricht und ganze Völker auslöscht. Es wird ein Abenteuer, das nichts für schwache Nerven ist.

Cali/Kolumbien - Ostersonntag 2020 in Kolumbien. In Cali, das vielen vor allem aus den Mafia-Filmen um Pablo Escobar ein Begriff sein dürfte, regnet es. Vielmehr, es schüttet bereits seit Tagen. Extrem ungewöhnlich für die Region. Und sehr ungemütlich zum Fliegen. Es muss aber geflogen werden. 

Die „Patrulla Aerea del Pacifico“ soll dringend Hilfsmittel in kleine, vollkommen unzugängliche Dörfer an den Pazifik fliegen. Schutzkleidung, Masken, Desinfektionsmittel. Alles unbedingt notwendig, um die Menschen vor Ort vor Corona* zu schützen. Denn eine Ausbreitung des Virus könnte verheerende Folgen haben und ganze Dörfer ausrotten. „Die indigenen Ethnien in Kolumbien sind massiv von den Folgen des Covid-19* Virus bedroht“, erklärt mir Jorge Ivan Delgardo, Vizepräsident der „Patrulla Aerea“, noch vor dem Abflug. Diese Völker haben kaum Widerstandskräfte gegen fremde Viren, was es so gefährlich macht.

Corona-Krise in Kolumbien: Das Wetter wird nicht besser, aber es muss geholfen werden

Am kolumbianischen Pazifik, in den Departamentos Chocó, Valle, Cauca und Nariño, sorgt zudem verstärkte Aktivität bewaffneter Gruppen für Besorgnis. Es kommt zu Vertreibungen. Die „Nationale Organisation der Indigenen und Afro in Kolumbien“ (Onic) ist alarmiert, es gibt auch Berichte über Sabotage-Aktionen, Boote würden gezielt manövrierunfähig gemacht. Es erfolgte ein Hilferuf an Menschenrechtsorganisationen und Behörden, humanitäre Unterstützung zu leisten. Die Mission der „Patrulla Aerea“ ist daher in den Corona-Zeiten* wichtiger denn je. 

Reporterin Jenny Schuckardt (re.) berichtet aus Kolumbien.
Reporterin Jenny Schuckardt (re.) berichtet aus Kolumbien. © privat

Das Wetter wird nicht besser, eigentlich sollte die Aktion abgesagt werden, denn die Dörfer am Pazifik haben keine Landepisten, keinen Tower, nichts – aber sehr hohe Antennen. Wenn man da nicht auf Sicht fliegen kann, hat man verloren. Wir fliegen trotzdem.

Drei Maschinen stehen am Flughafen in Cali bereit, ausgestattet mit einer Sondergenehmigung von der „Uficina del Presidente Duque“, jeweils mit einer Zwei-Mann-Besatzung: Pablo Guerrero, Javier Barrientos, Jorge Ivan Degardo, Luis Eduardo Calderon. Ich begleite den deutschen Consul in Cali, Gerhard Thyben, der auch Präsident der Patrulla Aerea in Cali ist. Zwei Journalisten halten für „El Pais“ die Aktion fest.

Corona: In den entlegenen Dörfern gibt es nicht einmal einen Schraubenzieher

Ein „Desinfektionskommando“ säubert das Flugzeug und uns – gefühlt über Stunden. Das Mittel wird in das Innere des Flugzeugs gesprüht, nach einer Einwirkungszeit darf man die Türen wieder öffnen und es dampft, als habe es in Flammen gestanden. Danach werden wir abgesprüht.

Wir starten auf der völlig leeren Startbahn des Internationalen Flughafens von Cali. Die Flotte der „Avianca“ steht still am Rand des Rollfeldes. Das Wetter zieht weiter zu. Und das Flugzeug, eine Piper Arrow, macht „Corona-Zicken“: Plötzlich Schwankungen in der Drehzahl. Flugzeuge müssen geflogen werden, Stillstand ist Gift für die Maschinen. Wegen der Corona*-Quarantäne konnte der Arrow seit zwei Monaten nicht bewegt und nicht von Mechanikern gecheckt werden.

Corona-Hilfspakete für abgelegene Dörfer in Kolumbien.
Corona-Hilfspakete für abgelegene Dörfer in Kolumbien. © privat

Ankunft in „El Charco“ im Departamento Nariño anderthalb Stunden später. Hier gibt es so gut wie nichts. Schwierige Landung, denn zum einen haben die Bremsen unter dem langen Stillstand gelitten, zum anderen ist es in „El Charco“ extrem schwer zu landen, die Landebahn ist sehr kurz, steht teilweise unter Wasser, einen Tower gibt es natürlich auch nicht. Wegen dieser Problematik ist Gerd Thyben, der einzige Pilot der „Patrulla Aerea“, der dort landen kann, weil am erfahrensten. Die anderen fliegen nur bis Guapi.

In „El Charco“ erwarten uns zwei vermummte Feuerwehrmänner, die mit großem Sicherheitsabstand beobachten, wie wir ausladen. Keiner kommt näher. Wir stellen die Kisten ab und fliegen weiter nach Guapi, um dort den Rest der Ladung zu holen. Auf dem Flughafen in Guapi befindet sich direkt neben der Rollbahn eine schmale Rinne, eine nicht gekennzeichnete Baustelle. Die Piper kracht mit einem Rad genau dort hinein. Mit vereinten Kräften wird das Flugzeug aus der Rinne gehoben. Glück im Unglück: Nur die Anzeige des Fahrwerks wurde beschädigt. 

Corona-Hilfsaktion in Kolumbien: Der Rückflug ist nichts für schwache Nerven

Wir laden also erneut ein, was nach „El Charco“ weitergeflogen werden muss, starten wieder durch. Vor Ort wieder alleine ausladen, wieder Abstand halten. Die Papiere zur Gegenzeichnung werden über den Flügel geschoben.

Die Bremse hat sich jetzt völlig verklemmt. So können wir nicht wieder zurückfliegen. Zu gefährlich. Hilfe gibt es in „El Charco“ keine, nicht einmal Schraubenzieher. Auch nicht im Flieger, denn alles Equipment musste vor dem Flug entfernt werden, um Platz für möglichst viele Hilfsmittel zu haben. In dem Dorf zu übernachten und Hilfe aus Cali anzufordern scheint keine Lösung. Es gibt keine sichere Unterbringungsmöglichkeit, denn ausgerechnet jetzt ist auch noch das Dengue-Fieber ausgebrochen. Fremde sind in Corona-Zeiten* ohnehin nicht gern gesehen, auch nicht, wenn sie Hilfe bringen.

Thyben findet schließlich eine Art Besenstiel aus Eisen und schafft es zum Glück, die Bremse wieder zu lösen. Wir starten durch, im Cockpit brennt die rote Lampe, die daran erinnert, dass das Fahrwerk nicht vollends eingefahren war. Das alles ist nichts für Feiglinge. Zur Sicherheit fliegen wir auf dem Rückweg am Pazifik entlang, um im Notfall auf einer Sandbank notlanden zu können, müssen aber kurz vor den Bergen, die wolkenverhangen sind, gewaltig an Höhe gewinnen, um diese überqueren zu können. 

Wir landen irgendwann in Cali. Am Flughafen gibt es erstmal eine Runde Whiskey für alle. Gott sei Dank ist alles gut gegangen in dieser ohnehin schon außergewöhnlichen Zeit.

Jenny Schuckardt

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Die „Patrulla“ Aerea finanziert sich aus Spenden, die Piloten stellen ihre Flugzeuge und ihre Flugzeit unentgeltlich zur Verfügung. Die Hilfsaktion an den Pazifik konnte dank der Unterstützung vieler möglich gemacht werden.

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Die Autorin Jenny Schuckardt flog Anfang März im Rahmen ihrer Tätigkeit als Niederlassungsleiterin des Deutsch-Kolumbianischen Freundeskreises e.V. in München nach Kolumbien. Wegen der Corona-Krise hat das südamerikanische Land seit Ende März die Grenzen geschlossen und den Flugverkehr völlig eingestellt. Die Reporterin, die seit 2017 für das Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerk tätig ist, hofft auf einen Rückflug im Mai. 

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