Zweifel an RKI-Todeszahlen: Gibt es in Wahrheit viel weniger Corona-Tote - oder sogar deutlich mehr?
In Deutschland sind bereits weit über 1000 Menschen an den Folgen des Coronavirus gestorben. Doch stimmt diese Rechnung überhaupt?
- In Deutschland zeigt sich ein stetiger und beunruhigender Anstieg der Coronavirus-Todeszahlen.
- Weit über 1000 Menschen sind hierzulande bereits an den Covid-19-Folgen gestorben.
- Doch stimmt diese Rechnung überhaupt? Einige Experten äußern Zweifel.
- Hier finden Sie die grundlegenden Fakten zum Coronavirus* und zur aktuellen Entwicklung in Deutschland*. Derzeit gibt es die folgenden Empfehlungen zu Corona-Schutzmaßnahmen*.
Hamburg/Berlin - In den vergangenen Tagen ist die Zahl der Corona-Todeszahlen in Deutschland stetig gestiegen. Mittlerweile werden täglich weit über 100 Todesfälle gemeldet, die Gesamtzahl erhöhte sich bis Freitag auf 1275 in Deutschland*. Die meisten Toten gibt es bislang in Bayern, gefolgt von Baden-Württemberg und NRW. Doch nun mehren sich Zweifel an den Todeszahlen, die von der Johns-Hopkins-Universität und dem Robert-Koch-Institut (RKI) genannt werden. Sind die gemeldeten Corona-Toten viel zu hoch berechnet - oder andersherum gar zu niedrig?
Durchschnittsalter der Corona-Toten in Deutschland: 80 Jahre
Das Durchschnittsalter der Corona-Toten ist laut RKI in Deutschland mit 80 Jahren ziemlich hoch. Das jüngste Todesopfer in Deutschland war 28 Jahre alt und hatte Vorerkrankungen. Viele der Verstorbenen hätten auch ohne die Erkrankung nur noch eine überschaubare Lebenserwartung gehabt. Manche lebten in Pflegeheimen. Ihr Immunsystem war bereits geschwächt. Doch verstarben sie letztlich unmittelbar und direkt an den Folgen der Coronavirus-Infektion?
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Hamburg berechnet Corona-Tote anders - und fordert auch vom RKI Überprüfung der Zählweise
Die Gesundheitsbehörde der Stadt Hamburg erklärte jüngst, die Corona-Todesfälle anders zu zählen als das RKI. Beim Institut landen alle Verstorbenen, bei denen das Virus SARS-CoV-2 festgestellt wurde, in die Todeszählung. In Hamburg nur diejenigen, die nachweislich auch an Covid-19 gestorben sind. Das untersucht wiederum die Rechtsmedizin: Bei Sterbefällen mit positivem Corona-Test wird bei einer Obduktion die genaue Todesursache festgestellt.
Der Unterschied zwischen den Zählweisen ist gravierend: Am Donnerstag gab das Robert-Koch-Institut für Hamburg 14 Todesfälle an, die Gesundheitsbehörde Hamburgs dagegen lediglich acht. Viele der Verstorbenen litten bereits an teilweise schweren Vorerkrankungen. Hamburg drängt deshalb darauf, dass bundesweit die Zählweise überprüft wird.
RKI-Präsident: Corona-Sterberate in Deutschland wird eher unterschätzt
Der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Professor Dr. Lothar Wieler, entgegnete dieser Kritik am Freitag auf einer Pressekonferenz. „Die Sterberate wird eher unter- als überschätzt“, so seine These. Er geht davon aus, dass es höchstwahrscheinlich sogar mehr Corona-Tote in Deutschland gibt, als die offiziellen Zahlen widerspiegeln. Oftmals werde das Virus postmortal nicht mehr festgestellt, so dass es eine hohe Dunkelziffer geben könnte.
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Viele versteckte Corona-Tote? Studie aus Italien scheint diese Dunkelziffer-Theorie zu untermauern
Für die Annahme, dass es noch viel mehr unregistrierte Corona-Tote geben könnte, spricht eine Studie aus Italien, berichtet fr.de*. Die nationale Statistikbehörde Istat und das Istituto Cattaneo in Bologna verglichen aktuelle Sterbezahlen aus dem Frühjahr 2020 mit dem Mittelwert der Jahre 2015 bis 2019 im selben Zeitraum.
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Demnach starben zwischen dem 21. Februar und 21. März insgesamt 4825 Menschen an Covid-19, jedoch lag die Gesamtzahl der Todesfälle 8740 Tote über dem Mittelwert der vergangenen Jahre. Es ergibt sich somit eine Differenz von fast 4000 Toten über dem Schnitt, wenn man die bekannten Corona-Toten abzieht. Möglicherweise sind das zu einem Großteil Menschen, die ebenfalls an den Coronavirus-Folgen starben, ohne als Erkrankte dokumentiert worden zu sein.
Corona-Tote in Deutschland: Gestorben an dem Coronavirus - oder mit ihm?
Doch die Kritik an der RKI-Zählweise kommt nicht nur aus Hamburg, sondern beispielsweise auch von der Uni Bonn. Der dortige Virologe Professor Hendrik Streeck nannte im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein konkretes Beispiel: "In Heinsberg etwa ist ein 78 Jahre alter Mann mit Vorerkrankungen an Herzversagen gestorben, und das ohne eine Lungenbeteiligung durch Sars-2. Da er infiziert war, taucht er natürlich in der Covid-19-Statistik auf.“ Die Frage sei, so Streeck*, ob der Patient nicht „sowieso gestorben wäre“.
Der Medizinstatistik-Experte Gerd Antes ging im Spiegel-Interview auf das Problem ein: "Viele von denen, die jetzt am Coronavirus sterben, wären möglicherweise auch ohne das Virus gestorben, aber später." Es sei gar nicht auseinander zu halten, ob jemand an dem Virus oder mit dem Virus gestorben sei. Dafür bräuchte es mehr Obduktionen.
Die meisten Vorerkrankungen der Corona-Toten in Wuhan waren nicht unmittelbar tödlich
Infektiologe Gerd Fätkenheuer geht dagegen auf eine Studie aus Wuhan ein, bei der die Krankendaten von 191 Patienten ausgewertet wurde, berichtet ntv. Hier habe sich gezeigt, dass die am häufigsten aufgeführten Begleiterkrankungen der in Wuhan Verstorbenen Bluthochdruck und Diabetes waren. Beide Erkrankungen sind eben nicht unmittelbar tödlich.
RKI-Präsident Wieler geriet in den vergangenen Wochen häufiger in die Kritik - auch wegen Fehleinschätzungen und falschen Corona-Prognosen.
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