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Amokfahrt in Berlin: Familie aus Philippsthal wenige Minuten zuvor an derselben Stelle

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Von: Jan-Christoph Eisenberg

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Wohlbehalten zurück im Werratal: Nur wenige Minuten vor der Amokfahrt waren Carolin und Andreas Nennstiel noch an der Gedächtniskirche in Berlin unterwegs. Im Faltbollerwagen saßen die beiden gemeinsamen Kinder.
Wohlbehalten zurück im Werratal: Nur wenige Minuten vor der Amokfahrt waren Carolin und Andreas Nennstiel noch an der Gedächtniskirche in Berlin unterwegs. Im Faltbollerwagen saßen die beiden gemeinsamen Kinder. © Jan-Christoph Eisenberg

Andreas Nennstiel und seine Frau Caroline aus Philippsthal waren mit ihren Kindern nur Minuten vor der Amokfahrt an Gedächtniskirche in Berlin.

Berlin – „Wir haben riesiges Glück gehabt“, sagt Andreas Nennstiel nachdenklich. Auch einen Tag nach der Rückkehr aus Berlin ist der Philippsthaler noch sichtlich erschüttert. Denn nur wenige Minuten, bevor am Mittwochvormittag (8. Juni) ein 29-Jähriger mit dem Auto an Gedächtniskirche in eine Personengruppe gefahren ist, sind der 42-Jährige und seine Ehefrau Carolin dort noch mit ihren Kindern unterwegs gewesen.

Dass sie an diesem Morgen aufs Frühstück im Hotel verzichten, habe ihnen letztlich wohl das Leben gerettet, zumindest aber verhindert, dass sie Opfer oder Zeugen der mutmaßlichen Amokfahrt in Berlin mit einer getöteten Lehrerin und 31 teils lebensbedrohlich verletzten Menschen wurden.

Familie aus Philippsthal: Sie entkamen der Amokfahrt in Berlin um Minuten

Für einen Zoobesuch hatten die Wirtschaftsjuristin und der selbstständige Steuerberater am Dienstag (7. Juni) mit ihrer zweijährigen Tochter und ihrem knapp einjährigen Sohn auf der Heimreise von Usedom einen Zwischenstopp in der Hauptstadt eingelegt. Ihr Auto stellten sie in einem Parkhaus in Zoo-Nähe ab.

Mit den beiden Kindern in einem Faltbollerwagen überquerte die Familie auf dem Weg zum Hotel an der Rankestraße auch den Breitscheidplatz, wo ein islamistischer Terrorist im Dezember 2016 einen Lkw in eine Menschenmenge gesteuert und 13 Menschen getötet hatte. „Das war früher meine Gegend“, sagt Carolin Nennstiel, die in unmittelbarer Nachbarschaft gewohnt hat und erst wenige Tage vor dem Weihnachtsmarkt-Anschlag zum Studium nach Fulda gezogen ist.

Interessante Beobachtung in Berlin: Zuvor bereits Raser bemerkt – Ähnliches Auto wie bei Amokfahrt

Das Durchqueren der inzwischen errichteten Lkw-Sperren habe in ihm ein beklemmendes Gefühl hervorgerufen, sagt Andreas Nennstiel. Als das Paar mit den Kindern auf dem Breitscheidplatz noch einer Sängerin lauschte, habe dort aber eine friedliche Atmosphäre geherrscht. Am Hotel hätten sie mit Freunden noch Cocktails getrunken und sich dabei über einen Raser geärgert, der sie und andere Menschen in Gefahr gebracht habe. Der Wagen habe optisch dem des späteren Amokfahrers geähnelt, erklärt Carolin Nennstiel rückblickend. Ob der Tatverdächtige dort am Vorabend tatsächlich unterwegs war, wissen die 31-Jährige und der 42-jährige allerdings nicht. Über den Vorfall hätten sie aber die Polizei informiert.

Eine Schulklasse aus Hessen war ebenfalls unter den Opfern der Amokfahrt in Berlin. Die Klasse aus Bad Arolsen muss nun einen Weg finden, mit der Tat aus Berlin umzugehen, bei der ihre Lehrerin getötet wurde.

Statt im Hotel zu frühstücken, versorgt sich die Familie am nächsten Morgen aus Zeitgründen mit Proviant vom Schnellimbiss für die Heimfahrt. „Gegen 10.15 Uhr haben wir das Parkhaus verlassen“, erinnert sich Andreas Nennstiel. Keine 15 Minuten später, um 10.26 Uhr, fährt der 29-Jährige an der Gedächtniskirche in eine Schülergruppe aus Bad Arolsen, eine Lehrerin stirbt.

Der Amokfahrt in Berlin entkommen: Familie noch immer geschockt

Carolin und Andreas Nennstiel erfahren davon aus dem Autoradio. Dass sie der Todesfahrt offenbar nur knapp entkommen sind, wird ihnen allerdings erst richtig klar, als nach der Ankunft in Philippsthal die Fernsehberichte über den Bildschirm flimmern. „Nach dem Frühstücken im Hotel hätten sich unsere Wege wohl direkt gekreuzt“, verdeutlicht Andreas Nennstiel. Dass seine Familie und er ebenfalls zu den Opfern gehören könnten, macht dem 42-Jährigen noch immer zu schaffen: „Mit den zwei kleinen Kindern im Bollerwagen hätten wir so schnell gar nicht reagieren können“, sagt er nachdenklich.

Der vergangene Mittwoch sei für ihn deshalb fast wie ein zweiter Geburtstag. Die Ereignisse hätten ihm bewusst gemacht, wie schnell scheinbar weit entfernte Ereignisse plötzlich ganz nahe rücken können – und dass manchmal nur Minuten über das Schicksal entscheiden. (Jan-Christoph Eisenberg)

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