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Mit dem Rad zur Reha-Klinik: Sofia (6) und ihr Vater auf Tour – „Lange gekämpft“ für diese Chance

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Von: Clemens Herwig

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Vater-Tochter-Gespann: Enrico Wübbold und Tochter Sofia wollen mehr als 220 Kilometer mit dem Rad zur Reha fahren. Durch die Therapie platzte die Urlaubsplanung der Familie, die eigentlich auf dem Weser-Radweg in den Norden fahren wollte. Für Sofia gibt es eine frühe Entschädigung – der Familieausflug soll 2023 nachgeholt werden.
Vater-Tochter-Gespann: Enrico Wübbold und Tochter Sofia wollen mehr als 220 Kilometer mit dem Rad zur Reha fahren. Durch die Therapie platzte die Urlaubsplanung der Familie, die eigentlich auf dem Weser-Radweg in den Norden fahren wollte. Für Sofia gibt es eine frühe Entschädigung – der Familieausflug soll 2023 nachgeholt werden. © Clemens Herwig

Ein Mädchen braucht eine Sprachtherapie in einer weit entfernten Klinik. Ihr Vater lässt sich etwas Besonderes einfallen. Eine herzerwärmende Geschichte aus Nordhessen im Rückblick.

Das Jahr 2022 lieferte viele spannende, emotionale und unglaubliche Geschichten. Für einige diese Geschichten haben sich Sie, liebe Leser und Leserinnen, ganz besonders interessiert. Zum Jahresende präsentieren wir Ihnen die meistgelesenen lokalen Geschichten aus der Region und Hessen noch einmal. Heute: eine emotionale Vater-Tochter-Tour.

Bebra – Es dauert einen Moment, bis Sofia auftaut – der fremde Besucher von der Zeitung im Haus ihrer Eltern im nordhessischen Bebra (Hersfeld-Rotenburg) ist ihr nicht ganz geheuer. Doch dann turnt sie eifrig auf dem Schoß ihrer Mutter herum, gluckst vergnügt beim Spielen. Fordert: „Mama hoch!“. Für einen Moment ist ihre ständige Begleiterin vergessen: Ein Sprach-PC im Tabletformat – sie hat das Gerät „Anna“ getauft.

Solarenergie für den Sprachcomputer: Auch auf dem Weg zur Reha wird „Anna“ dabei sein. Für die nötige Energie sorgen Solarzellen auf dem Fahrradanhänger.
Solarenergie für den Sprachcomputer: Auch auf dem Weg zur Reha wird „Anna“ dabei sein. Für die nötige Energie sorgen Solarzellen auf dem Fahrradanhänger. © Clemens Herwig

Sofia hat Probleme mit dem Sprechen, seit vier Jahren ist sie in logopädischer Behandlung, sagt die Familie. Es gibt Erfolge, gelegentlich plappert die Sechsjährige regelrecht drauflos, sagt einige Worte, bevor sie in die Kindersprache verfällt. Doch oft übernimmt „Anna“ die Kommunikation für die beiden. Per Knopfdruck stellt das Gerät sich und seine kleine Besitzerin mit eingespeicherten Sätzen vor („Hallo, ich bin Sofia“), verkündet, dass die Sechsjährige Hunger hat und was ihre Hobbies sind. „Anna“ soll Sofia auch beim Wechsel in die Grundschule nach den Sommerferien unterstützen – eine Dauerlösung ist das Gerät nicht.

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Wirklich helfen könnte der Besuch einer Reha-Klinik in Bissendorf in Niedersachsen, die auf Kinder und Jugendliche mit Kommunikationsstörungen spezialisiert ist. „Wir haben lange gekämpft für diese Kur“, sagt Vater Enrico Wübbold. Das Geld der Familie – zu der noch Mutter Martina Gundlach, die neunjährige Leonie und Maximilian (5) gehören – ist knapp. Beide Eltern haben einen Schwerbehindertenausweis und leben von Hartz 4. Die Therapie-Chance für Sofia habe der Kinderarzt verschrieben, gezahlt werde sie von der Rentenkasse.

Auf diesem Weg sind Sofia und Enrico Wübbold von Bebra nach Bissendorf unterwegs
Auf diesem Weg sind Sofia und Enrico Wübbold von Bebra nach Bissendorf unterwegs © HNA

Enrico Wübbold plant nun eine „Vater-Tochter-Radtour“ zur vierwöchtigen Reha und zurück. „Sofia ist ein absolutes Papakind und vom Zelten bekommt sie nicht genug.“ Eine Fahrt mit der Bahn will der 50-Jährige vermeiden: Durch das Neun-Euro-Ticket und die Ferien befürchtet er volle Züge – wenig ideal für eine Reise mit der scheuen Sechsjährigen. Zumindest das Gepäck für die Klinik wird im Zug vorausgeschickt.

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Je nach Streckenplaner haben die beiden bis zu 254 Kilometer vor sich. Am kommenden Montag soll es losgehen, am 27. Juli müssen sie am Ziel sein – das Gespann hat also neun Tage. Die Ausrüstung haben sie, auch dank großzügiger Spender, zusammen. Aber: Das Budget für die Tour ist mit 150 Euro klein und Campingplätze sind teuer, sagt Enrico Wübbold, der selbst als Platzwart gearbeitet hat. „Wir suchen Leute, die uns ein Stück Grün zur Verfügung stellen, wo wir unser Zelt aufschlagen können.“

Besonders zwischen Melsungen und Warburg sowie Paderborn und Bissendorf fehlen noch Übernachtungsmöglichkeiten. Etwa 30 Kilometer wollen Vater und Tochter täglich zurücklegen – „je nachdem, wie viel Sofia schafft.“ Geduscht werden soll in Schwimmbädern, notfalls gehe es zum Waschen auch kurz in ein flaches Gewässer. Verpflegung haben die beiden im Anhänger dabei, ihre Vorräte aufstocken wollen sie bei Tafeln entlang der Tour. Enrico Wübbold ist zuversichtlich, dass alles gut geht: „Ich habe notfalls den Mut, mich durchzufragen. Es ist ein ganz schönes Unterfangen. Aber die Kinder stehen an erster Stelle“, sagt der 50-Jährige. (Clemens Herwig)

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