Auf dem Parkplatz mit Truckern: Schwere Schicksale mitten in Bad Hersfeld

Sie werden meist unter Mindestlohn bezahlt, schlafen in ihren Kabinen und sind wochenlang unterwegs – viele Lkw-Fahrer aus nicht-deutschen EU-Ländern leben und arbeiten unter unwürdigen Bedingungen. Um die Fahrer über ihre Rechte aufzuklären, ist Stefan Körzell, Bundesvorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), zusammen mit Mitarbeitern des DGB-Projekts „Faire Mobilität“ auch auf Bad Hersfelds Raststätten unterwegs. Mit dabei – die internationale Stiftung „Road Transport due Diligence“ (RTDD) der Gewerkschaften. Unsere Redakteurin Kim Hornickel war bei der Aktion auf Rosie´s Raststätte am Freitag dabei und hat nachgefragt.
Herr Körzell, wie kommt es, dass das DGB-Projekt „Faire Mobilität“ gerade jetzt auf die Lkw-Fahrer zugeht?
Die ELA, die Europäische Arbeitsmarktbehörde, veranstaltet gerade eine Aktion für faire Transportbedingungen in ganz Europa, und die unterstützen wir. Dabei beraten wir die Fahrer in ihrer Muttersprache.
Auf Rosi´s Autohof an der Rudolf-Diesel-Straße in Bad Hersfeld treffen sich die Mitarbeiter des DGB-Projektes „Faire Mobilität“ und der Stiftung RTDD der Gewerkschaften zur Teamsitzung im Gastraum der Raststätte. Teamleiter Edwin Atema erklärt der Gruppe, dass es der Stiftung wieder einmal um die Prüfung der Lieferketten geht. Die Mitarbeiter decken strukturelle Ausbeutung und Menschenhandel auf, wie der Niederländer erklärt. An diesem Tag ist das Team auch in Hersfeld im Einsatz. In der Woche beraten sie Lkw-Fahrer, bei deren Kampf gegen ungerechte Arbeitsbedingungen. Es ist Langzeitunterstützung, die die Helfer bieten. Noch schnell einen Kaffee und es geht los. Die zwei Teams machen sich auf den Weg zu den Lkw-Parkreihen. Sie schauen gezielt nach polnischen, rumänischen oder weiteren osteuropäischen Kennzeichen. Auch ganz weiße Lkw, ohne Aufdruck, sind ihr Ziel. Spediteure wählten diese Lkw ganz gezielt, um nicht erkannt zu werden, erklären die Helfer.
Wie oft waren Sie, Herr Körzell, schon bei solchen Aktionen dabei?
Ich mache das jetzt zum dritten Mal. Was man hier erlebt, lässt nicht wieder los. Das sind mitunter ergreifende Schicksale. Ich war auch schon einmal mehrere Wochen mit einem Kollegen auf Rastplätzen in und um Berlin beratend unterwegs.
Wie werden solche Aktionen finanziert?
Das ist eine Aktion des DGB-Beratungsnetzwerks „Faire Mobilität“, das auch von der Bundesregierung gefördert wird. In den vergangenen fünf Jahren wurden dabei 180 Aktionen auf Lkw-Parkplätzen umgesetzt, um Lkw-Fahrer über ihre Rechte zu informieren. Insgesamt über 8000 Gespräche in den Herkunftssprachen haben die Berater geführt.
„Buna ziua“, sagt Anna Weirich und schaut zu einem Lkw-Fahrer hinauf, der sein Fahrzeug auf dem Rastplatz abgestellt hat und nun das Fenster herunterlässt. Aussteigen will er nicht, aber was Weirich und Stefan Körzell vom DGB zu sagen haben, das interessiert ihn schon. Weirich fragt den Mann, wie es ihm geht, wie lange er hier schon parkt, und ob alles in Ordnung ist. Als er antwortet, ist der Mann aufgewühlt. Er stehe schon seit zwei Wochen hier, dürfe den Platz nicht verlassen. Seine Ladung sei nicht sicher verstaut. Seinen Führerschein musste er den Polizisten überlassen. Andere hätten den Lkw falsch beladen und die Polizei lasse ihn so nicht weiterfahren. Der Rumäne ist aufgebracht. Die DGBler hören sich seine Geschichte an. Einfach ist es auch für Weirich, die fließend Rumänisch spricht, nicht, herauszufinden, was genau passiert ist. Am Ende bieten Weirich und Körzell an, bei weiteren Problemen mit deutschen Behörden zu dolmetschen. Ein Essen schlägt der Mann aus Stolz aus, obwohl er noch nicht weiß, ob er für die letzten zwei Wochen überhaupt bezahlt wird. Das weiß nur Gott, sagt er und schaut zum Himmel. Normalerweise bekommt er 300 Euro pro Monat, plus Spesen, wie er erklärt.

Herr Körzell, wie reagieren die Fahrer normalerweise auf solche Aktionen?
Viele Lkw-Fahrer sind froh, wenn sie einfach mal ihre Geschichte erzählen können, oder auf ihre Arbeit angesprochen werden. Viele sind wochenlang allein unterwegs. Da geht es erst einmal gar nicht um die Frage ihrer Rechte. Neulich habe ich zwei Fahrer getroffen, die zusammen in einer Führerkabine leben. Und das – obwohl es nicht zulässig ist – ganze vier Monate am Stück!
Welche Geschichten sind Ihnen noch besonders im Gedächtnis geblieben?
In Berlin hat mir ein Fahrer vor Kurzem erzählt, dass er aus der Ukraine kommt. Seine Tochter ist nach Tschechien geflüchtet und seine Frau und eine zweite Tochter sind in Goslar in Niedersachsen. Der Mann hatte deshalb darum gebeten, die Route so zu legen, dass er über Goslar fährt. Dann muss er aber zurück nach Kiew und von dort nach Saporischschja. Weil er arbeitet, muss er nicht zum Militär, allerdings wird deshalb ein Teil seines Lohnes einbehalten und an das Militär abgeführt. Und der Mann bekommt ohnehin schon keinen Mindestlohn. Ein anderer Fahrer aus der Ukraine hat seit vier Monaten mit seiner Ehefrau in einem Lkw gelebt. Andere Fahrer, die für litauische Speditionen fahren, aber selbst aus Tadschikistan oder Usbekistan kommen, sagen: „Es ist immer noch besser als zuhause.“ Das kann aber nicht die Lösung sein. Daran sieht man auch, die Arbeitgeber können mit ihren Leuten teilweise machen, was sie wollen. Sie werden ausgebeutet. Das ist das Schlimme.
Viele Fahrer haben auf Rosie´s Autohof inzwischen die Gardinen zugezogen und sich schlafen gelegt. Die DGB- und RTDD-Mitarbeiter gehen an den Lkw vorbei, hier klopfen sie nicht. Kein Trucker soll geweckt werden, damit die Ruhezeiten der Fahrer nicht unterbrochen werden. Darauf legen die Gewerkschafter Wert, erklärt Stefan Körzell im Vorbeigehen.
Herr Körzell, was nützt es eigentlich, die nicht deutschen Fahrer hier über ihre Rechte aufzuklären, wenn die Einhaltung der europäischen Gesetze den Arbeitgeber im Ausland wenig juckt?
Es geht hier um geltendes Recht, um Arbeitsschutz und um faire Bezahlung – die die Fahrer übrigens auch drei Jahre nachträglich einfordern können. Die neuen Fahrtenschreiber mit Fahrerkarte sind dafür wichtig. Wenn man damit über die Grenze fährt, dann müssen die Fahrer eingeben, in welchem Land sie unterwegs sind. Auf den Schreibern wird auch die Arbeitszeit erfasst. Wenn sie mindestens drei Fahrten in Deutschland machen, steht ihnen auch der deutsche Mindestlohn zu. Aber viele bekommen den gar nicht erst. Dann kommen wir ins Spiel und fordern die Beschäftigten auf, ihre Arbeitszeiten genau zu dokumentieren. Manchen gelingt es mit unserer Hilfe, ihre Arbeitgeber zur Verantwortung zu ziehen und eben Löhne nachgezahlt zu bekommen.
Wie effektiv sind solche Aktionen – wie die des DGB – in der Praxis?
Wir wollen aufklären. Aber natürlich fordern wir auch mehr Kontrollen, für die übrigens der Zoll zuständig ist. Dort brauchen wir für die Fernschreiber mehr ausgebildetes Kontrollpersonal und eine höhere Kontrolldichte. Wenn ein Spediteur weiß, dass in Deutschland nicht kontrolliert wird und die Chance erwischt zu werden gering ist, dann ist der Wille Menschen illegal zu beschäftigen sehr hoch. Deshalb ist es wichtig, immer wieder auf die Missstände und geltendes Recht hinzuweisen. Niemand muss sich mit lausigen Tagespauschalen zufriedengeben, und schon gar nicht 13 bis 15 Stunden Arbeitszeit am Tag.
Warum wird geltendes Recht nicht an den deutschen Grenzen durchgesetzt?
Mir ist kein Fall bekannt, bei dem eine deutsche Kontrollbehörde oder der deutsche Zoll gegen einen polnischen, lettischen oder tschechischen Arbeitgeber ermittelt hätte, um den Mindestlohnanspruch eines von dort kommenden Lkw-Fahrers durchzusetzen. Das heißt, gegen den Arbeitgeber ermittelt, weil der den Mindestlohn nicht zahlt. Oft bekommen die Menschen statt Mindestlohn nur Spesen, oder einen vorgegaukelten Mindestlohn, bei dem die Spesen aber schon mitverrechnet sind. Unsere Forderung ist: Speditionen – egal ob deutsch oder aus dem europäischen Ausland – die sich diese Praktiken zunutze machen, müssen aus dem Verkehr gezogen werden. Die machen immerhin auch den Wettbewerb kaputt.
Was können die nicht-deutschen Lkw-Fahrer denn selbst tun, um ihre Rechte einzufordern?
Die Fahrer sollten sich über ihre Rechte informieren, etwa was Arbeitszeiten, Pausen und die Bezahlung betrifft – und sie auch bei ihren Arbeitgebern geltend machen. Auch wenn es bei größeren Speditionen zum Teil geregelte Arbeitsverhältnisse gibt, bei vielen anderen sieht es leider oft anders aus.
Um den Kontakt zu den Fahrern nicht abreißen zu lassen, geben die DGB-Mitarbeiter Brotdosen mit Flyern und Visitenkarten an die Männer aus. In jeder Dose sind auch Müsliriegel und ein Apfel. Manche Fahrer melden sich später noch einmal, viele aber nicht, sagt Stefan Körzell, der das bedauert.
Was muss sich politisch ändern, damit sich die Lage der Fahrer verbessert, Herr Körzell?
Die Politik muss für mehr Kontrollen von Lkw in der Bundesrepublik sorgen. Wir brauchen außerdem einfachere Regeln für die Fahrer, in allen Sprachen. Damit die Menschen bei Grenzübertritten wissen, worum es geht. Wichtig ist mehr Personal beim Zoll – für eine effektive Strafverfolgung der Spediteure, die gegen die Regeln verstoßen. Den schwarzen Schafen von ihnen muss das Handwerk gelegt werden. Nur ein Gesetz, das kontrolliert wird, wird auch eingehalten. (Kim Hornickel)