Goldgräber für die Seele

Bad Hersfeld. Die Berliner Philharmoniker wurden in Erwartung ihres samstäglichen Waldbühnen-Freiluftkonzerts Opfer der Sommerregenflut. In Bad Hersfeld jedoch bot das Zeltdach über der Stiftsruine den Bayer-Symphonikern aus Krefeld-Uerdingen samt 400 Zuhörern und zwei unentwegten Tauben Schutz und die gewohnt vortreffliche Akustik.
Es regnete hier indes gar nicht, und auch zu einer weiteren Befürchtung der gut 70 Musiker bestand kein Grund. Sie seien, sagt der Dirigent Andreas Hilner, bei der Programmauswahl leicht zurückgescheut vor den beiden ebenso hochkarätigen wie beliebten wie heiklen Werken. Verstehen sich doch die weitaus meisten Orchestermitglieder als lediglich semiprofessionelle Instrumentalisten, die, wenn sie freitagabends zur Probe zusammenkommen, eine musikmetierferne Arbeitswoche beim Chemie-Weltkonzern hinter sich haben.
Doch dann dürfen sie in die Tiefen unvergänglicher Klangkunst - oder, wie im Bad Hersfelder Sonntagskonzert, zur Delikatesse gepflegter Mischkost vordringen und zu Goldgräbern für die Seele werden.
Tönende Konflikte
Bedrich Smetanas „Moldau“ aus dem sinfonischen Zyklus „Mein Vaterland“ und Piotr Iljitsch Tschaikowskis Sinfonie Nr. 5 op. 64 sind ja wahre Schicksalsmanifestationen voller tönender Konflikte, Katastrophen und finaler Triumphe. Da liegt Gleichnishaftigkeit nahe.
Selbst bei der „Moldau“, die als musikalisches Fluss-Porträt ersonnen ist und doch von der Quelle bis zur Mündung das Leben gleichnishaft spiegelt. Um wie viel mehr die grundtonartgleiche (e-Moll) Fünfte Tschaikowskis, deutungsgeschichtlich ein 50-minütiger Langzeitblick ins menschliche Innenleben. Übrigens ein kompositorisch überaus kundiger, raffinierter des oft geschmähten Russen.
Wie hier die Bayer-Symphoniker in männlich-weiblicher Parität - freilich drei Damen unter den vier Hornisten - all das begreifbar und eben nacherlebbar machten, das hatte die Bravi und den großen Schlussapplaus wahrlich verdient.
Die instrumentalen Abteilungen zeigten sich gut verbunden. Podiumssichere Beherrschung und ebenso Leichtigkeit und Spontaneität der Einzelleistung gingen nahtlos auf in der durchgeformten machtvollen Totale. Exzellent die Solohornistin und die Solopaukerin. Vielleicht ließe sich das Pizzicato-Spiel der Streichergruppe noch etwas präzisieren.
Subtiler Umgang
Andreas Hilner pflegt einen gleichermaßen subtilen und souveränen Umgang mit dem Orchester. Besonders einprägsam das Ende des Kopfsatzes der Sinfonie, als sich das in die Tiefe sinkende, pianissimo verebbende Hauptthema mit dem fernen Rauschen eines Düsenjets hoch oben mischte.
Von Siegfried Weyh